Sonntag, 1. Februar 2009
IWF und Weltbank-Anspruch und Wirklichkeit
IWF und Weltbank - Anspruch und Wirklichkeit
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken
ist es die Freiheit, die unterdrückt,
und das Gesetz, das befreit."
Jean Jaques Rousseau [1]
Übersicht
Die Kluft zwischen Arm und Reich
Die Weltbank
Der IWF
Ungarn – ein historisches Beispiel für die Auswirkungen der IWF-Politik
Argentinien – ein aktuelles Beispiel für die Auswirkungen der IWF-Politik
Entwicklung früher ...
... und heute
Das Entwicklungskonzept von Hernando de Soto
Von der Gegenwart zur Zukunft
Anmerkungen
Literatur
Die Kluft zwischen Arm und Reich
Die soziale Polarisierung auf unserem Planeten wächst kontinuierlich. Die Reichen werden immer reicher und die Armen werden immer ärmer. Die Zahl der Armen ist in den vergangenen Jahren rapide gestiegen: 1,2 Milliarden Menschen weltweit müssen mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen.[2] Das UNDP (United Nations Development Programme) berichtet, dass in gut einhundert "Entwicklungsländern" das Pro-Kopf-Einkommen heute niedriger ist als noch vor 10, 20, ja manchmal dreißig Jahren [3] und dass 1,6 Milliarden Menschen schlechter leben als noch zu Beginn der 1980er Jahre.[4] Auch im früheren Ostblock (einschließlich Russland) stieg die durchschnittliche Rate der absoluten Verarmung – die mit 4 US-$ pro Tag definiert wurde – seit der Wende von 4% auf über 40%. Die Zahl der sogenannten LDC (Least Developed Countries) hat sich in den vergangenen 30 Jahren auf 49 verdoppelt.[5] Dabei beschleunigt sich die Konzentration, die Ungleichverteilung der Einkünfte und Vermögen immer weiter: Der Reichtum der drei reichsten Männer des Globus übertrifft das BIP der 48 ärmsten Entwicklungsländer.[6] Die reichsten 200 Personen der Welt haben ihr Nettovermögen zwischen 1994 und 1998 auf mehr als eine Billion Dollar verdoppelt. 20% der Weltbevölkerung verfügen über 85% des Reichtums. Vor knapp 5 Jahren lag das Verhältnis noch bei 20 zu 76.[7] Während die Einkommensschere zwischen armen und reichen Ländern für 1960 bei einem Verhältnis von 1:30 lag, betrug der Abstand 1990 1:60 und 1997 1:74.[8]
Diese traurigen Fakten sind unstrittig. Unstrittig ist ebenfalls, dass es zwischen den genannten Werten und den Aktivitäten von Weltbank und Internationalem Währungsfonds direkte Zusammenhänge gibt. Strittig ist allerdings, welcher Art diese Zusammenhänge sind und insbesondere, ob es sich wegen oder trotz IWF und Weltbank wie beschrieben verhält; sprich, ob es ohne deren Existenz besser oder noch schlimmer wäre. Ich will mich im Folgenden darum bemühen, einige Kriterien herauszuarbeiten, die eine eigene Urteilsfindung erlauben und dabei an den vor zwei Jahren bei den "Mündener Gesprächen" vorgestellten Bancor-Plan anknüpfen.[9]
John Maynard Keynes strebte bei der Internationalen Konferenz von Bretton Woods 1944 die Einführung eines neutralen Weltzahlungsgeldes, eben des Bancor, an. Er konnte sich seinerzeit mit seinem Plan nicht durchsetzen. Statt dessen kam der amerikanische sog. White-Plan zum Zuge, der den US-Dollar in den Mittelpunkt stellte und der bis heute unserem Weltwährungssystem sein Gepräge gibt: Die sog. Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) entstanden und der Einfachheit halber hat man sie auch gleich in der amerikanischen Hauptstadt angesiedelt. Während dem IWF die kurzfristige ökonomische Stabilisierung der Währungen und Zahlungsbilanzen seiner Mitglieder zur Aufgabe gemacht wurde, sollte die Weltbank den langfristigen Wiederaufbau und die Entwicklung der Mitgliedsstaaten unterstützen.
Die Weltbank [Übersicht]
Der Begriff Weltbank ist eigentlich nur die inoffizielle Bezeichnung für die (übersetzt) "Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung" (International Bank for Reconstruction and Development) IBRD. Dazu gesellte sich 1956 die "Internationale Finanzierungsgesellschaft" (International Finance Corporation) IFC zum Zwecke der Förderung der LDCs durch Stützung produktiver privater Unternehmen, 1960 die "Internationale Entwicklungs-Gesellschaft" (International Development Association) IDA, die sehr langfristige und sehr zinsgünstige Kredite ausreicht, sowie 1988 die "Multilaterale Investitonsgarantie-Agentur" (Multilateral InvestmentGuarantee Agency) MIGA, die ausländische Direktinvestitionen durch Versicherungen, Kredite und Bürgschaften fördert. Deshalb spricht man auch von der Weltbank-Gruppe. Es handelt sich dabei – was viele nicht wissen – um eine solide Bank, die Gewinne erwirtschaftet und ihre Ressourcen im wesentlichen von privaten Geldgebern bezieht. Die Rückzahlung eines jeden Weltbankkredites muss von der Regierung des betreffenden Mitgliedsstaates garantiert werden, wer auch immer der tatsächliche Kreditnehmer im Lande ist: die Regierung, eine Verwaltungsinstanz oder ein Geschäftsunternehmen (damit ist das Investitionsrisiko auf den Kreditnehmer abgewälzt). Mitglied kann jeder Staat werden, soweit er zuvor Mitglied des IWF geworden ist.
Satzungsgemäß darf sich die Bank "nur von wirtschaftlichen Erwägungen leiten und sich nicht vom politischen System des betreffenden Mitgliedslandes beeinflussen lassen. Ebensowenig darf sich die Weltbank oder einer ihrer Beauftragten in die Politik irgendeines Mitgliedslandes einmischen."[10] Ähnliches gilt für die Satzung des IWF. Allerdings konnte der Gegensatz zur Realität krasser nicht sein, hält man sich die tatsächliche Vorgehensweise der beiden Institutionen während des kalten Krieges vor Augen. Doch auch nach dessen Ende hat sich an der "Neutralität" der sog. Bretton-Woods-Institu- tionen nichts geändert. Dazu das "Handelsblatt" vom 17.10.2001: "Nach Absage der Jahrestagung von IWF und Weltbank sorgten sie (gemeint sind die USA) dafür, dass beide Institutionen im Sinne der neuen Ausrichtung der US-Interessen handlungsfähig blieben. Von einem Tag auf den anderen riss die von den USA angeführte mächtige AntiTerror-Allianz bei IWF und Weltbank gegenüber Amerikas "neuen Freunden" das Ruder der Ausleihepolitik herum. Länder wie Pakistan, Indien, Indonesien, Ägypten, Jordanien, Usbekistan und der Sudan, denen im langen globalen Kampf gegen die radikalen Strömungen im Islam eine zunehmende Bedeutung zukommt, stehen auf der Prioritätenliste von IWF und Weltbank nunmehr ganz oben."[11]
Der IWF [Übersicht]
Die ursprüngliche Aufgabe des IWF bestand in der Herstellung und Sicherung fester Währungsparitäten. Von 1945 bis 1971 standen die Währungen in einem festen Verhältnis zum US-Dollar, dessen Konvertibilität in Gold garantiert war. Erwiesen sich die festen Kurse als langfristig unhaltbar, konnten sie angepasst werden. Ohne ein solches "Realignment" waren die Mitgliedsländer aber verpflichtet, durch Interventionen am Devisenmarkt die Wechselkurse innerhalb der vorgeschriebenen engen Grenzen zu halten. Dabei und zum Ausgleich vorübergehender Zahlungsbilanzdefizite half ihnen der IWF mit kurzfristigen Liquiditätsspritzen. Aber im August 1971 brachten die USA das von ihnen selbst geschaffene System zum Einsturz: Die Regierung Nixon weigerte sich zum einen, die vertraglich vereinbarte Verpflichtung zu erfüllen, Dollar in Gold zu tauschen und zum anderen, die eigene Währung durch Interventionen am Devisenmarkt zu stabilisieren. In der Folge wurde der Dollar mehrfach abgewertet und ab 1973 gingen die Währungen zum allgemeinen "Floating", zum freien Spiel der Kräfte, über. Das war das Ende der Ära von Bretton Woods. Der IWF war seiner Aufgabe beraubt und es blieb von ihm nichts weiter übrig als die Beitragsquoten seiner Anteilseigner und eine große Zahl von Wirtschaftsexperten, die in Washington saßen, um auf ein System aufzupassen, das nicht mehr existierte. Seit Mitte der 1970er Jahre hat kein großes Industrieland mehr Kredite beim IWF aufgenommen.
Aber der IWF hat sich neu erfunden und auf der Südhalbkugel ein Betätigungsfeld entdeckt: Ausgehend von 44 Gründungsmitgliedern sind heute fast alle Staaten dem IWF angehörig, die meisten also Entwicklungsländer. Gleichwohl haben sie dort nicht viel zu sagen: Denn die Mehrheitsverhältnisse im Fonds werden durch Quoten bestimmt, nach denen sich die Einzahlungsverpflichtungen, Kreditmöglichkeiten und auch die Stimmrechte der Mitglieder bestimmen. Berechnungsgrundlage der Quote ist eine Formel, in die unterschiedlich gewichtet Volkseinkommen, Reserven an Gold und Devisen, Volumen des Außenhandels etc. eingehen. Entsprechend verteilen sich die Stimmrechte wie folgt: USA: 17,8%, Japan 5,5%, Deutschland 5,5%, Großbritannien 4,9%, Frankreich 4,9%, Saudi-Arabien 3,5%, China 2,3%, Russland 2,9%. Alle übrigen 170 Mitglieder verfügen über die restlichen 52,5% der Stimmen.
Wirksam wird die ungleiche Stimmenverteilung im Gouverneursrat und im Exekutivdirektorium des Fonds. Der Gouverneursrat tritt einmal jährlich im September [12] zusammen und entscheidet über Fragen grundsätzlicher Bedeutung; z.B. über die Aufnahme neuer Mitglieder und die Änderung von Quoten. Satzungsgemäß erfordert jedoch die Quotenänderung eine Mehrheit von 85% der Stimmen und kann deshalb von den USA mit ihren 17,8% jederzeit blockiert werden, wovon auch Gebrauch gemacht wird. Die laufende Geschäftsführung überträgt der Gouverneursrat dem sog. Exekutivdirektorium, welches die eigentliche tägliche Arbeit des IWF bestimmt und über die (umstrittenen) Stand-By-Arrangements (Bereitschaftskreditabkommen) berät und entscheidet.
Die Bedingungen für eine Kreditvergabe des IWF und teilweise auch der Weltbank beschränken sich typischerweise nicht auf die Festlegung der Rückzahlungsfrist und des Zinssatzes, sondern haben konkrete wirtschaftspolitische Auflagen zum Inhalt. Diese Auflagen sind bis zu einem gewissen Grad von der konkreten Situation und von den Begleitumständen, aber auch von entwicklungspolitischen und volkswirtschaftstheoretischen Stimmungen und "Großwetterlagen" abhängig. Andererseits lassen sich aber über die letzten Dekaden auch typische Bestandteile dieser Konditionen feststellen, die fast immer, zumindest aber in der Mehrzahl der Fälle Wesensmerkmale der sog. Struktur-Anpassungs-Programme (im Folgenden SAPs genannt) bilden. Offizielles Ziel dieser SAPs ist die möglichst weitgehende Vermeidung zukünftiger Haushalts- und Zahlungsbilanzdefizite eines Schuldnerstaates. Einschneidende Sparmaßnahmen bei anhaltender Verschuldung entsprechen sicher auch dem gesunden Menschenverstand. Umstritten ist aber, ob diese SAPs dem gesetzten Ziel (dieser SAPs) auch tatsächlich gerecht werden, ob also ihre Einhaltung auch tatsächlich dazu beitragen kann, die Position des Schuldners langfristig zu verbessern oder ob sie nicht eher wirkungslos sind bzw. gar das Gegenteil bewirken. Umstritten ist ebenfalls, ob und inwieweit die sozialen Kosten der SAPs notwendig und zumutbar sind.
Typische Merkmale von SAPs sind: [13]
1. Deregulierung von Kapital- und Importkontrollen
2. Deregulierung von Löhnen und Preisen
3. Anhebung der Zinssätze
4. Kürzung der Staatsausgaben
5. Steuererhöhungen
6. Abwertung der nationalen Währung
7. Infrastrukturmaßnahmen, Investitionsbeihilfen
8. Privatisierung von Staatsbetrieben
ad 1: Deregulierung von Kapital- und Importkontrollen
Die Liberalisierung des Handels, also die Aufhebung von Schutzzöllen und Einfuhrbeschränkungen, und des Kapitalverkehrs soll die Einbindung in die Weltwirtschaft erleichtern und ausländische Investoren anlocken mit dem letztlichen Ziel, auch die inländische ökonomische Aktivität zu erhöhen.
Devisenreserven können nun nicht mehr geschont und gezielt für notwendigerweise zu importierende Güter eingesetzt werden. So ist die Konsequenz der Maßnahmen (u.a.) die Einfuhr von Konsum- und Luxusgütern (Nobelkarossen, HiFi-Anlagen) durch die Wohlhabenden, was die Außenhandelsbilanz weiter verschlechtert. Werden tatsächlich Investoren angezogen, so ist der Zufluss ausländischen Kapitals, welcher die negative Leistungsbilanz ausgleichen könnte, oft nur temporärer Natur, weil die Devisen wieder abfließen als Lizenzzahlungen, Gewinn-Transfers, Management-Gebühren, Überweisungen von Angestellten-Gehältern, überhöhten Rechnungen für Einfuhren der Muttergesellschaft und zu niedrigen Rechnungen für Verkäufe an die Muttergesellschaft; in der ganzen Welt bekannte Buchungstricks der multinationalen Konzerne. Die Deregulierung der Devisenkontrollen hat zusätzlich zur Konsequenz, dass nun auch auf die Besteuerung der Überweisungen und solcherart auf eine wenigstens indirekte Beteiligung an den Gewinnen verzichtet werden muss. Und schließlich gibt es nun keinerlei Schutz mehr gegen Kapitalflucht.
Direkte Folge der Deregulierung des Handels ist die Verminderung der Staatseinnahmen durch den Wegfall der Zölle. Die Direktinvestitionen setzen die einheimische Industrie einem gewaltigen Druck aus. Höhere Produktivität und die ausländische Kapitalkraft drängen sie vom Markt. Insoweit dies nicht geschieht, richten sich die Investitionen nebst zugehöriger (und vom Entwicklungsland zu finanzierender) Infrastruktur isoliert auf die ausländischen Zentren aus und tragen zur Entfaltung der Binnenwirtschaft nur wenig bei.
ad 2: Deregulierung von Löhnen und Preisen
Die Deregulierung von Löhnen meint i.A. die Abschaffung von Mindestlöhnen und in Konsequenz dessen die Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus. Insoweit aber die Lohnhöhe stark administriert wird (starke Gewerkschaften), verlangt der IWF auch oft einen Lohnstopp oder graduelle Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsrate. Ziel ist die Verringerung der Geldmenge auf privater Ebene im Sinne der Inflationsbekämpfung sowie die Senkung der Produktionskosten und damit die Erhöhung der Gewinne und Investitionsmöglichkeiten für die Unternehmen (neoklassische Sicht). Direkte Folge ist aber ein realer Einkommensverlust für die abhängig Beschäftigten durch die immer noch vorhandene Inflation und entsprechende Nachfrageausfälle.
Die Deregulierung von Preisen, also die Aufhebung von Preiskontrollen, meint hingegen die Abschaffung staatlich administrierter Höchstpreise und die Streichung staatlicher Subventionen für Grundnahrungsmittel und Verbrauchsgüter, also eine Verteuerung derselben.
ad 3: Anhebung der Zinssätze (Leitzinsen)
Ziel ist gemäß der neoklassischen Theorie eine Erhöhung der Sparquote und eine Verringerung der umlaufenden Geldmenge, um dadurch die Inflation zu bekämpfen. Der gewünschte Effekt des vermehrten Sparens durch Anhebung der Zinssätze ist – einmal abgesehen von der Fragwürdigkeit des dahinter stehenden Weltbildes (der Neoklassik) – ganz offensichtlich absurd angesichts der Mehrzahl der Verbraucher in der 'Dritten Welt', da diese mit ihren bescheidenen finanziellen Mitteln noch nicht einmal ihre Grundbedürfnisse ausreichend befriedigen können. In Folge der Kreditverteuerung werden aber nun die einheimischen Unternehmer entweder die Kreditaufnahme einstellen oder aber die höheren Kosten in Kauf nehmen. Dies wird dann der Fall sein, wenn noch eine zahlungskräftige Nachfrage vorhanden ist und somit die höheren Kosten über höhere Preise an die Verbraucher weitergegeben werden können. Unter Umständen kann also die Zinsanhebung sogar zu einer Steigerung der Inflation führen. In der Mehrzahl der Fälle wird aber das Ziel der Inflationsbekämpfung tatsächlich erreicht; allerdings typischerweise als einziger Erfolg eines "IWF-Paketes" (wie die SAPs auch heißen) und um den Preis bitterer Nebenwirkungen, denn die Binnenwirtschaft wird abgewürgt und gegenüber den Multis weiter benachteiligt, da diese sich aus eigenen Mitteln (der Mutter) Gelder beschaffen können und somit einen Konkurrenzvorteil haben.
ad 4: Kürzung der Staatsausgaben
Neben den bereits erwähnten Subventionen für Grundnahrungsmittel und Verbrauchsgüter sind davon hauptsächlich die Sozialressorts Bildung und Gesundheit betroffen. Die Gebühren für öffentliche Transporte und medizinische Versorgung, die Postgebühren sowie die Strom- und Wasserpreise werden angehoben und Investitionsprogramme des Staates ausgesetzt oder ganz gestrichen. Ziel ist ebenfalls die Inflationsbekämpfung. Aber besonders diese Maßnahmen sind es, die die Ärmsten am härtesten treffen und die soziale Ungleichheit immer mehr verschärfen. Sie führen deshalb regelmäßig zu sozialen Explosionen, den sog. "IMF-riots".
ad 5: Steuererhöhungen
Die Erhöhung von Steuern hat zum Ziel, die Staatseinnahmen zu erhöhen und damit die Staatsverschuldung und dadurch die Inflationsgefahr zu verringern; des weiteren, die private Nachfrage zu beschneiden, um damit ebenfalls der Inflation entgegenzuwirken. Die einheimischen Unternehmen geben die höheren Kosten – soweit möglich – an die Käufer weiter und wirken so dem Ziel Inflationsbekämpfung entgegen. Insoweit ihnen dies nicht möglich ist, müssen sie die Produktion einstellen, aus dem Markt treten und die Volkswirtschaft schrumpft. Häufig genießen die Multis gleichzeitig Steuervorteile oder -befreiung und profitieren erneut von einem Konkurrenzvorteil.
ad 6: Abwertung der nationalen Währung
Ziel der Maßnahme ist über die Verbilligung der heimischen Währung im Ausland eine Exportsteigerung und über die Verteuerung ausländischer Währung im Inland eine Importdrosselung mit dem Ergebnis einer Verbesserung der Außenhandels- wie der Leistungsbilanz.
Mit dem Zusammenhang zwischen Wechselkursrelation und Außenhandelsbilanz hat es aber nun eine besondere Bewandtnis (die viele von denen, die diese Weisheit im Munde führen, verdrängt, vergessen oder auch nie richtig durchdrungen haben): Nach erfolgter Abwertung der heimischen Währung ist nämlich die unmittelbare Konsequenz nicht etwa eine Verbesserung der Bilanz, sondern ceteris paribus im Gegenteil eine Verschlechterung der Bilanz durch eine weitere Steigerung der Importkosten und eine Verringerung der Exporterlöse aus dem einfachen Grund, weil die in der Ausgangssituation gegebene importierte Güter- (oder auch Dienstleistungs-)menge nunmehr teurer und die gegebene exportierte Güter- (und auch Dienstleistungs-) menge billiger geworden ist. Natürlich ist das nicht der Sinn der Sache und dabei soll es nicht bleiben und dabei bleibt es – unter bestimmten Voraussetzungen – auch nicht, sondern nunmehr werden die exportierten Güter und Dienstleistungen eben dadurch, dass sie außerhalb der eigenen Landesgrenzen billiger geworden sind, auf den Exportmärkten attraktiver, werden dadurch stärker nachgefragt, bis schließlich – im Idealfall – der erlittene Verlust durch die Minderung des Erlöses pro Gütereinheit durch eine Steigerung der Gütermengen konterkariert (also wettgemacht und übertroffen) wird. Dieser sog. J-Kurven-Effekt funktioniert allerdings idealtypisch nur dann, wenn zwei notwendige Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Die zur Debatte stehenden Import- und Exporträume weisen eine ähnliche bzw. vergleichbare ökonomische Struktur und mithin einen ähnlichen bzw. vergleichbaren Entwicklungsstand auf.
2. Die Nachfrage nach exportierten wie nach importierten Gütern muss preiselastisch sein; d.h. die Nachfrage muss auf eine Änderung der Preise auch tatsächlich – und v.a. in ausreichendem Maße – reagieren.
ad 1.: Nur dann, wenn die exportierten Güter auch im Zielland selbst hergestellt werden, hat eine Abwertung der heimischen Währung einen starken Effekt auf die Menge der exportierten Güter. Denn nur dann können die Konsumenten im Zielland aufgrund der Preisänderung eine Kaufentscheidung zugunsten der (dortigen) Importe und zuungunsten der (dort) heimischen Produzenten treffen. Werden aber die exportierten Güter im Zielland selbst gar nicht hergestellt (wie das z.B. bei Kaffee der Fall ist), so kann eine Abwertung der heimischen Währung nur dann zu einer Ausweitung der Exportmenge führen, wenn dadurch auch die Gesamtnachfrage der Konsumenten im Zielland gesteigert wird. Das ist aber dann nicht der Fall, wenn die Nachfrage gar nicht mehr vom Preis abhängig ist (weil dieser sich ohnehin auf einem Minimum bewegt (wie im Falle des Kaffees, aber auch anderer Rohstoffe; siehe 2.). Eine durch Währungsabwertung induzierte Ausweitung der Exporte alleine auf Kosten der Exportkonkurrenz wird nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein, sondern allenfalls zu einem "race to the bottom", zu einem Wettrennen gegen Null, führen, an dessen Ende die Exporteinnahmen aller noch geringer sind als in der Ausgangssituation. (Vergleichbares gilt jeweils auch für die Importsituation.)
ad 2: Eine starre Ex- und Importstruktur, d.h. eine Situation, in der sich die Nachfrage nach ex- wie nach importierten Gütern und Dienstleistungen durch eine per Wechselkursänderung induzierte Preisänderung nicht oder nur unwesentlich ändert, ist leider typisch für die meisten Entwicklungsländer; exportiert werden Rohstoffe – und davon oft auch nur eine Sorte – deren Preise jedenfalls in einem "terms-of trade"-Sinne [14] seit Jahren gefallen sind und nach denen die Nachfrage durch eine Preisänderung faktisch nicht beeinflusst werden kann. Gleichzeitig ist die Importstruktur oft genau so starr: Typischerweise ist die gesamte Infrastruktur importabhängig; insbesondere vom Erdöl. Aber auch Transportmittel wie Fahrzeuge, Ersatzteile für Maschinen, Halbfertigprodukte für die – soweit vorhanden – verarbeitende Industrie können gar nicht selbst hergestellt und müssen ganz zwangsläufig (und jedenfalls kurz- bis mittelfristig) importiert werden, nachdem sich eine entsprechende Struktur einmal etabliert hat. Einer solchen Volkswirtschaft eine Abwertung zu "empfehlen" bzw. eine Ausreichung von Krediten bzw. eine Umschuldung davon abhängig zu machen und insofern diese Ökonomien vielmehr dazu zu zwingen, abzuwerten, ist – jedenfalls im Sinne einer Entwicklung derselben – vollkommen unsinnig und kontraproduktiv und hat das gerade Gegenteil dessen zur Konsequenz, was – jedenfalls offiziell – erreicht werden soll; nämlich eine weitere Verschlechterung der Außenhandelsbilanz, einen dadurch höher werdenden Kreditbedarf bei gleichzeitiger Verminderung der Rückzahlungsfähigkeit, also eine Erhöhung der Verschuldung bei gleichzeitiger Verringerung der Chance, sie jemals wieder loszuwerden, ein Weitertreiben der Schuldenspirale, denn bald beginnt das Spiel von vorn. Bei erneut drohender Zahlungs- bzw. Schuldendienstunfähigkeit wird erneut verhandelt; und erneut unter den bereits bekannten Prämissen und Bedingungen und mit den zwangsläufigen "Empfehlungen" und "Angeboten". Nicht nur die "terms of trade", auch der Wert der gesamten Volkswirtschaft wird – gemessen in internationalen Währungen – durch diesen Kreislauf nach und nach vermindert und – vermittels "depth-equity-swaps" oder anderer kosmetischer Begriffe – in einer für Kapital grenzen- und schrankenlosen Welt schließlich dem weltweiten Ausverkauf preisgegeben.
Die Wirkungen der SAPs können also wie folgt zusammengefasst werden: Durch Abwertungen werden Importe für die einheimischen Unternehmer teurer. Binnenwirtschaftlich bedeutet die Abwertung der Währung zusammen mit Steuer- und Leitzinserhöhungen für einheimische Unternehmen einen Kostenanstieg; und bei einem gleichzeitigen und plötzlichen Rückgang der Kaufkraft durch Lohnstopp, Steuererhöhung, Streichung von Subventionen und Investitionen des Staates ein gutes Pleiterezept.
Quelle:http://www.sozialoekonomie.info
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