Samstag, 7. Februar 2009

Die NATO ist unsere Rückversicherung für die Verteidigung unseres gemeinsamen Territoriums oder "Terrorismus"?

"Die NATO ist unsere Rückversicherung für die Verteidigung unseres gemeinsamen Territoriums"

Interview mit Veranstalter Botschafter Wolfgang Ischinger zur 45. Münchner Sicherheitskonferenz (Ausschnitte)

Vor Eröffnung der 45. Münchner Sicherheitskonferenz, gab ihr Leiter, der deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger, ein Interview, das wir im Folgenden in Auszügen dokumentieren. Die Fragen stellte Oliver Rolofs.



Herr Botschafter: Sie leiten erstmals die Münchner Sicherheitskonferenz, die nun zum 45. Mal stattfindet. Was sind ihre persönlichen Erwartungen an die Konferenz?

Ich freue mich sehr über die Teilnahme von rund 300 hoch- und höchstrangigen Außen- und Sicherheitspolitikern aus aller Welt, die sich an diesem Wochenende wieder direkt auseinandersetzen und austauschen können. Von der Tagung erwarte ich mir vor allem einen ersten Aufschlag der neuen US-Administration in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, ebenso wie einen Neuanfang in den amerikanisch-russischen Beziehungen. Das gemeinsame Auftreten von Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy mit dem polnischen Ministerpräsidenten Tusk ist ein Zeichen gemeinsamer Entschlossenheit in der europäischen Sicherheitspolitik und im Bündnis. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist auch immer ein Temperaturfühler der europäischen Sicherheitspolitik - und ich spüre eine rasche Erwärmung. München wird diese positiven Impulse verstärken.

Die 45. Münchner Sicherheitskonferenz stellt sich in einem neu strukturierten Format dar. Wichtige Themen sollen breiter diskutiert werden. Was ist die neue Zielsetzung?

Wir bauen auf Bewährtem und Erprobtem auf und versuchen – dort, wo sinnvoll – ein paar neue Akzente zu setzen. Sicherheit im 21. Jahrhundert können wir nicht nur mit militärischen Kategorien beantworten. Klimasicherheit, Energiesicherheit, Themen wie Migration und die Versorgung von Nahrungsmitteln gehören zu diesem Themenkreis auch hinzu. Wir wollen also einen richtigen Mix an Themen in den kommenden Jahren zwischen dem was man „soft security“ und „hard security“ nennt, anstreben. Auch gehören die BRIC-Staaten und die Probleme Afrikas dazu.

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Mit großer Spannung wird der hochkarätige Auftritt der neuen US-Administration in München erwartet. US-Vizepräsident Joe Biden wird in seiner Rede wohl die Neuausrichtung der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik skizzieren. Was dürfen wir von der neuen US-Regierung erwarten?

Es erfüllt mich mit großer Freude, aber auch mit Stolz, dass die Obama-Administration München für ihre erste außen- und sicherheitspolitische Grundsatzrede gewählt hat. Das ist Ausdruck des Respekts und der Wertschätzung der US-Administration gegenüber der Bundesregierung. Der Auftritt Joe Bidens auf der Konferenz ist auch in der Sache bedeutsam. Ein Vizepräsident kann das gesamte Spektrum der Außen- und Sicherheitspolitik abdecken. Und hier erwarte ich einen ersten Aufschlag. Der Neuantritt der amerikanischen Regierung wird mit neuen Impulsen gegenüber Russland, gegenüber dem Iran und dem Nahen Osten und einem atmosphärischen Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen verbunden sein.

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Neue Impulse soll es zudem im Bereich der Abrüstung- und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen geben?

Ich sehen derzeit eine große Chance für Fortschritte in diesen Bereichen. Seit Jahren stagnieren diese Themen. Das gilt auch für die weitere Abrüstung von strategischen Interkontinental-Raketen auf Seiten von Russland und den USA. Die kann man auf beiden Seiten problemlos auf die Hälfte reduzieren. Ich habe aus Washington in den letzten Tagen viele Signale empfangen, das man an neuen Vorschlägen arbeitet. Nichts wäre besser für die europäische und globale Sicherheit und das Verhältnis mit Russland, als wenn es hier zu einem intensiven amerikanisch-russischen Verhandlungsmarathon kommen würde.

Stichwort Russland. Der Münchner Sicherheitskonferenz ist noch gut die äußerst kritische Rede des damaligen Präsidenten Putin in Erinnerung geblieben. Die USA und die NATO sind damals nicht gut weggekommen. Wie gestaltet sich der weitere Umgang mit Russland?

Es wird in München ein Treffen zwischen dem NATO-Generalsekretär de Hoop-Scheffer und dem russischen Vize-Premier Iwanow geben. Das Ziel ist es, den NATO-Russland-Faden, der zuletzt nach der Georgien-Krise in Mitleidenschaft geraten ist, wieder zu verstärken und dafür zu sorgen, dass wir in der Frage im Umgang mit Russland und der NATO-Erweiterung nicht die Balance verlieren. Durch die neue Administration in Washington bietet sich hier in München die Chance, einen neuen Impuls in den Beziehungen zwischen Russland und der NATO zu erwirken. Dann wird die Welt in diesem Jahr schon wieder ein klein wenig sicherer sein.

Die NATO wird besonders im Hinblick auf den 60. NATO-Gipfel im April 2009 erneut thematisiert. Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident wollen eine Neuausrichtung des Bündnisses. Wie soll diese Ihre Ansicht nach aussehen?

Es ist wichtig, dass wir den Wesenskern der NATO nicht aus dem Blick verlieren. Die NATO ist unsere Rückversicherung für die Verteidigung unseres gemeinsamen Territoriums und soll es auch weiterhin sein. Wenn wir darüber hinaus die Allianz nutzen können, um Friedenseinsätze verschiedenster Art außerhalb des Bündnisgebietes durchzuführen, dann ist das wichtig und richtig. Die NATO wird sich künftig noch stärker als bisher in Gegenden wie Afghanistan, dem Nahen und Mittleren Osten und anderswo engagieren müssen. Das Ziel muss sein, dass es zu einer sich gegenseitig ergänzenden und sich nicht im Weg stehenden Zusammenarbeit zwischen der NATO und der EU kommt.

Erneut steht Afghanistan auf der Tagesordnung. Afghanistans Präsident Karzai wird sich dazu persönlich äußern. Das internationale Engagement am Hindukusch führt immer wieder zu Streit innerhalb der NATO. Erwarten Sie in München neue Lösungsansätze für Afghanistan?

Die Lage in Afghanistan ist nicht erfreulich. Sie ist militärisch kritischer geworden. Die Debatte wird sich daher auf die Grundfrage erstrecken, ob der Westen, ob die NATO das richtige Konzept für Afghanistan hat. Die Frage der Regierungsfähigkeit Afghanistans muss genauso deutlich erörtert werden, wie die Rolle der Spieler in der Region, wo vor allem Pakistan im Fokus steht. Deswegen wird auch der pakistanische Außenminister hier vor Ort sein.

Haben Sie keine Sorge, dass sich die Debatte nur wieder um rein militärische Fragen und Vorwürfe dreht, einige NATO-Mitglieder engagieren sich militärisch zu wenig?

Ich wünsche mir, dass die Afghanistan-Debatte nicht auf die Frage nach weiteren Truppenaufstockungen verkürzt wird. Die Frage muss vielmehr lauten: Gibt es ein gemeinsames politisches, entwicklungspolitisches, finanzpolitisches, militärpolitisches und regionalpolitisches Gesamtkonzept mit klarer Zielsetzung, das wir gemeinsam mit unseren Partnern beschließen können? Nur eine Diskussion über den Einsatz von mehr Soldaten in Afghanistan wird der Komplexität der Lage nicht gerecht.

Sowohl der Iran als auch die USA werden auf der Konferenz hochrangig vertreten sein. Werden nach dem Angebot von Präsident Obama beide Nationen in München einen ersten Neuanfang im Dialog wagen?

Beide Staaten sind mit großen und hochrangigen Delegationen in München vertreten. Es gibt also theoretisch, räumlich und zeitlich die Möglichkeit dafür. Ob diese Möglichkeit auf beiden Seiten genutzt wird, wird man sehen. Meiner Ansicht nach liegt es jetzt an den Iranern, ob sie die ausgestreckte Hand von Obama ergreifen. Ich wünsche mir natürlich sehr, dass München genutzt wird, um zumindest erste Vorsondierungen stattfinden zu lassen.

Ein etwas in den Hintergrund gedrängter Konflikt rückt mit der Eröffnungsrede von Kosovos Präsident Sejdiu wieder in den Vordergrund: Das schwierige Verhältnis zwischen Serbien und dem Kosovo. Letztes Jahr warnte Serbiens Präsident Tadic in München noch vor einer Unabhängigkeit des Kosovos. Ist das die Ironie der Geschichte?

Das ist ausgleichende Gerechtigkeit. Ein Großteil der EU-Staaten unterhalten mittlerweile diplomatische Beziehungen zum Kosovo. Mir persönlich liegt viel an der Entwicklung des Westbalkans und meine Vorstellung ist, dass serbische und kosovarische Politiker gemeinsam auf künftigen Konferenzen auftreten und offen kommunizieren. Das ist der europäische Weg und nicht der Weg des ethnischen Konflikts. Was früher der Aussöhnungsprozess zwischen Frankreich und Deutschland war, das muss doch auch auf dem Westbalkan möglich sein.

(...)

Dieses Jahr versammeln sich in München auch wieder die Gegner der Sicherheitskonferenz. Sie bezeichnen Ihre Veranstaltung als „Kriegskonferenz“ und „Jahreshauptversammlung der Rüstungsindustrie“. Wie wollen Sie Ihre Kritiker überzeugen?

Es ist ja bekannt, dass es im Leben nichts schöneres gibt, als ein etabliertes Feindbild. Eine Vielzahl von Kampagnen und Vorwürfen gegen mich und die Konferenz sind absurd, abwegig und auch persönlich beleidigend. Die Konferenz ist nicht ein Ort, wie immer wieder behauptet, um Kriege zu planen, sondern ein Ort um Konflikte zu verhindern.
Nach wie vor biete ich den Konferenzgegnern- und Kritikern den Dialog an. Das Angebot haben bislang 20 Gruppierungen erfreulicherweise angenommen. Wir konnten mehrere gute Gespräche führen. Ein Vertreter aus diesem Spektrum nimmt auf meine Einladung hin erstmals als Beobachter an der diesjährigen Konferenz teil. Leider sind nicht alle Gruppierungen zu einem Dialog bereit. Das bedaure ich. Leute, die zwar Frieden predigen aber den Dialog verweigern, machen sich unglaubwürdig.

Das ganze Interview befindet sich auf der Website der Münchner Sicherheitskonferenz: www.securityconference.de

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