Sonntag, 8. Februar 2009

Zurück in die Wirklichkeit Teil 2

Die europäisch-sudanesischen Beziehungen

Im März 2008 fand in Khartum das mehrtägige «Sudanese European Relations Forum» statt, das einer offenen Diskussion der stark abgekühlten europäisch-sudanesischen Beziehungen in Politik, Wirtschaft und Kultur gewidmet war. Neben Journalisten aus aller Welt, einschliesslich wenig sudanfreundlicher Stimmen wie Voice of America, wurden auch mehrere europäische Botschafter zu der öffentlichen Podiumsdiskussion eingeladen, welche aber einer nach dem anderen vom Programm verschwanden, nachdem sie offenbar von ihren Regierungen zurückgepfiffen wurden. Wer kam offiziell als einziger? Der US-amerikanische diplomatische Geschäftsträger. Der wiederholte dann auch unverblümt die allbekannten Standpunkte seiner Regierung, selbst wenn es gelegentlich den Anschein hatte, er wüsste es eigentlich besser. Und bekam nach seiner Rede sogar noch Höflichkeitsapplaus von dem wohlinformierten, divergenten und engagierten sudanesischen Publikum, das wohl kaum eine seiner Ansichten teilte. Dies zeigt die respektable Diskussionskultur im Sudan. Bei einschlägigen Sudan-Veranstaltungen in Deutschland wie zum Beispiel in einer Berliner Kirche oder im dortigen Jüdischen Museum wurde nach stundenlangen Vorhaltungen der von Anti-Khartum-Aktivisten bestimmten Podiumsdiskussion dem sudanesischen Botschafter sogar die Gelegenheit zu einer kurzen Stellungnahme verwehrt, anders lautende Stimmen wurden erst gar nicht eingeladen; dies zur Diskussionskultur im demokratischen Europa.
Viele der Anwesenden dürften nach den zahlreichen Vorträgen und Stellungnahmen und der höchst lebendigen Diskussion zu dem Eindruck gelangt sein, dass sich die europäischen Regierungen von der starren US-amerikanischen Politik und Lobby vereinnahmen haben lassen und dass es für den Sudan kaum mehr Sinn macht, weiter mit wenig Erfolgsaussichten um jeden Preis die Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Europa zu suchen, während China und andere asiatische wie nicht asiatische Länder mit Milliarden an Investitionen, Entwicklungsgeldern und Krediten bereitstehen. Die Sudanesen sind sich dabei durchaus im klaren, dass es auch den fernöstlichen Staaten im wesentlichen ums Öl und andere Rohstoffe geht; aber ging es den westlichen Mächten je um anderes, von strategischen Interessen einmal abgesehen?
In der Tat spricht einiges dafür, dass einige wenige, aber fast allen Parteien angehörige Politiker und Politikerinnen, die sich durch ein hohes Mass an Voreingenommenheit, Überheblichkeit und Belehrungsresistenz auszeichnen, nicht nur dafür gesorgt haben, dass die europäische Entwicklungszusammenarbeit (übrigens schon lange vor dem Darfur-Konflikt) eingestellt wurde, sondern auch dass der im Sudan einst hervorragend aufgestellten europäischen Wirtschaft Milliardenaufträge für die laufenden Gross­projekte verlorengingen, durch welche zweifellos viel mehr politische Einwirkungsmöglichkeiten entstanden wären als durch den Boykott, der nur den asiatischen Staaten in die Hände spielte.

Die Lage in den internen Flüchtlingslagern
Nach wie vor befinden sich Hunderttausende, wenn man den offiziellen UN-Verlautbarungen Glauben schenken will, mit 2,5 Millionen sogar fast die Hälfte der gesamten Darfur-Bevölkerung, in den Auffanglagern um die grösseren Städte wie Nyala oder El Fasher. Die Camps beherbergen somit ein Mehrfaches der jeweiligen Stadtbevölkerung. Den ortsfremden Insassen der Flüchtlingslager geht es inzwischen oft besser als den Einheimischen, denen Weiden und Äcker genommen und oft buchstäblich das Wasser abgegraben wurde, was verständlicherweise zu wachsenden Spannungen geführt hat. Die meisten dort lebenden Kinder und Jugendlichen kennen seit fünf Jahren kaum anderes als das Warten auf die nächsten Getreidelieferungen, anstatt zu lernen, wie man für sich selbst sorgt, und die Geburtenrate steigt unaufhörlich. So wollen nach Aussage des bestens informierten Gouverneurs von El Fasher – übrigens ein Berti, also nach dem gängigen Schema der «afrikanischen» Opfer-Ethnie angehörend – 35 Prozent der Lagerbewohner auch nach einem Friedensschluss nicht mehr zurück in ihre Heimatgebiete, ein schweres Vermächtnis für die Zukunft. In dieser frustrierenden Situation sind besonders die Heranwachsenden empfänglich für jegliche Beeinflussung durch ausländische NGOs, die der Khartumer Zentralregierung alle Schuld für ihr Schicksal anheften.
Viele Sudanesen sind inzwischen zu der Ansicht gelangt, dass die Lager hauptsächlich zu einem riesigen Beschäftigungsprogramm für westliche Hilfsorganisationen geworden sind. Der immer wieder angedrohte Abzug der zahlreichen NGOs wäre vorrangig eine Katastrophe für diese selbst, nicht für den Sudan. Unschwer nachvollziehbar empört zum Beispiel, dass eine amerikanische Hebamme mit 30 000 US-Dollar pro Monat (!) entlohnt wird, wovon man eine Vielzahl sudanesischer Hebammen einstellen könnte, die dann auch der Landessprache kundig wären; oder dass mit Hubschraubern bis zu 5000 Euro pro Stunde Duschwasser für UN-Mitarbeiter eingeflogen wird, die einen Anspruch auf 110 Liter pro Tag besitzen, während die Einheimischen von wenigen Litern am Tag leben; oder dass zum Beispiel in den Nuba Mountains für eine einfache Unterkunft mit Glühbirne von ausländischen Helfern bis zu 100 US-Dollar pro Nacht bezahlt werden, wodurch die Einheimischen mit ihrem geringen Monatseinkommen zunehmend aus ihren eigenen Ortschaften verdrängt werden. In diesem Zusammenhang verwundert auch nicht mehr, dass von den zig Millionen US-Dollar der vom American Jewish World Service und dem US Holocaust Memorial Museum gegründeten «SaveDarfur»-Kampagne bisher kein einziger bei den Betroffenen in Darfur angekommen ist. Statt dessen verwendet man die Millionen für ganzseitige An­zeigenschaltungen und hauptberufliche Anti-Karthum-Lobbyisten in den USA.
Bei den milliardenschweren Militäreinsätzen der UNMIS (United Nations Missions in Sudan) und UNAMID (United Nations – African Union Mission in Darfur) dürfte es grundsätzlich kaum anders liegen; Armeen besonders der Entwicklungsländer finden für ihre überschüssigen Soldaten eine lukrative und risikoarme Einsatzmöglichkeit. Schon ein Blick mit Google Earth auf die auf dem Flughafen von Khartum geparkten UN-Flugzeuge lässt die Kosten der von den Sudanesen wenig geschätzten «Peacekeeper» erahnen.

Die Ursachen der jetzigen Situation
Es ist hier nicht der Ort, die Beschreibung der vielfältigen Hintergründe der heutigen humanitären Krise in Darfur zu wiederholen, die im wesentlichen in der Verfünf­fachung der Bevölkerung in den letzten 50 Jahren und daraus resultierenden eskalierenden Konflikten zwischen sesshaften Bauern und Viehhaltern um immer spärlicher werdende natürliche Ressourcen wie Acker- und Weideflächen, Wasser oder Holz zu suchen sind.1 Hinzu kam eine zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage durch immer mehr umherziehende Umweltflüchtlinge, Diebe und Räuber. Selbst die dämonisierten «Dschandschawid» sind hauptsächlich nomadische Hirten in alter Konkurrenz mit der sesshaften Bevölkerung und nicht von der Zentralregierung gesteuerte Killer. Bereits die ersten Reiseberichte von el-Tunisy aus den Jahren 1805 bis 1815 oder das aufschlussreiche Werk Gustav Nachtigals über seinen Aufenthalt im Jahr 1873 hätten manchem Reporter von BBC und CNN helfen können, Missverständnisse und Fehleinschätzungen bezüglich Darfur zu vermeiden. Der entscheidende Grund für die jüngste Ausweitung des Konflikts dürfte jedoch – wie so oft in der afrikanischen Geschichte – in ausländischen Rohstoffinteressen vor allem an Erdöl und Uran liegen, wofür regionale Autonomiebestrebungen und die humanitäre Krise als Vorwand für westliche Interventionen instrumentalisiert wurden.2 Bei Krisen in Afrika empfiehlt sich stets ein Blick auf eine aktuelle geologische Karte.

Die Posse des ICC-Chefanklägers
Es war vorhersehbar, dass rechtzeitig zur Eröffnung der Olympiade in China abstruse Thesen wie die «Völkermordspiele» der Schauspielerin Mia Farrow hochgespielt wurden. Ebenso termingerecht erfolgte nun die seit fünf Jahren angekündigte Anklage des Chefanklägers des Internationalen Gerichtshofs. Zunächst fragen sich kritische Zeitgenossen nicht nur in der arabischen Welt, warum der jetzt so eifrige argentinische Staatsanwalt Luis Moreno-Ocampo nicht zuvor Anklage gegen die US-Regierungsmitglieder Bush, Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen den Irak mit seiner Million von Todesopfern und noch mehr Verletzten und Flüchtlingen erhoben hat; die Beweislage für eine Verurteilung dürfte nicht schwierig sein. Freilich gäbe es da das 2002 vom US-Kongress verabschiedete Gesetz, das die Regierung ermächtigt, militärische Mittel zur Befreiung US-amerikanischer Staatsangehöriger aus der Obhut des ICC anzuwenden. Statt dessen stellt der Justizvertreter aus Den Haag zum ersten Mal in der Geschichte des ICC einen Antrag auf Festnahme eines amtierenden Regierungschefs. Wie gesagt: einen Antrag, selbst wenn in den meisten Leitartikeln und Kommentaren der Eindruck entsteht, der ach so ehrenvollen Anklage sei bereits oder so gut wie entsprochen, den alten Rechtsgrundsatz der Unschuldsannahme bis zum Richterspruch negierend.
In einem ausführlichen Interview, das Moreno-Ocampo am Vortag der Anklageerhebung dem Senior-CNN-Reporter Nic Robertson gegeben hat, kann sich jeder von seiner widersprüchlichen und wenig überzeugenden Anklageführung ein Bild machen.3 Auf hartnäckiges Nachhaken räumt er dort ein, keine «smoking gun» gegen Bashir zu haben. Man darf sich vergegenwärtigen: Der Chefankläger des ICC erhebt nach fünfjährigen Recherchen seines umfangreichen Stabes Anklage wegen Völkermords gegen den gewählten Präsidenten des grössten afrikanischen Landes ohne einen stichhaltigen Beweis. In jeder kleinstädtischen Gerichtsbarkeit müsste er mit einer derart wackligen Anklageerhebung wohl den Hut nehmen.
Höchst verwunderlich in einem Fall dieses Ausmasses ist es, dass der Chefankläger und seine Mitarbeiter keinerlei Untersuchungen in Darfur, am Ort der behaupteten Verbrechen, durchgeführt haben. So basiert ihre Argumentation hauptsächlich auf Interviews und Zeugenaussagen, die in der weit entfernten Hauptstadt Khartum gesammelt wurden (was sicher bequemer war), UN-Dokumenten und allgemein zugänglichen Quellen. In dem CNN-Interview bekennt der Chefankläger, dass er auch keinerlei Informationen von Geheimdiensten und Mitarbeitern von UN und NGOs erhalten oder berücksichtigt hat; man fragt sich natürlich: gibt es gar keine, oder falls doch, warum nicht?
So rekurriert der seinem Hauptanklagepunkt Völkermord offenbar selbst nicht trauende Staatsanwalt nun auf Vergewaltigungen, ein besonders sensibles und emotional besetztes Thema, vermutlich auch bei den drei Richterinnen aus Ghana, Brasilien und Litauen, die allein über die Zulassung des Haftbefehls zu entscheiden haben. Es ist eine traurige Tatsache, dass Vergewaltigungen weltweit geschehen, und seit Beginn des Konflikts anscheinend auch in zunehmendem Masse in Darfur. Doch der Chefankläger lässt sich nicht auf irgendwelche gesicherten Zahlen festlegen, versteigt sich schliesslich aber doch in die ungeheure Behauptung, Bashir hätte in einer direkten Befehlskette die Vergewaltigung von Mädchen und Frauen angeordnet. Dass geradezu entlarvende Interview beendet Moreno-Ocampo mit ebenso diffusen wie unhaltbaren Anspielungen, Bashir wolle die Fur, Massalit und Zaghawa zerstören. Dieser Vorwurf ist so abwegig, dass er eigentlich keiner Richtigstellung bedürfte. Die Zaghawa, zum Beispiel, sind eine der einflussreichsten Ethnien im Vielvölkerstaat und aus sudanesischer Politik, aus dem Gesellschafts- und Geschäftsleben überhaupt nicht wegzudenken. Wie schon die UN seit 2005 spricht inzwischen nicht einmal mehr die Bush-Regierung von Völkermord, weil sie weiss, dass der unaufhörlich geäusserte Vorwurf nicht haltbar ist. So dürfte eine Zulassung der Anklage höchst unwahrscheinlich sein, es sei denn, der ICC übernähme vom Gastgeberland- und Hauptfinanzier der UN auch dessen Verfahrensregeln von Guantànamo. Möglicherweise wird dann statt eines Freispruchs mangels Beweisen die pragmatische Argumentation vorgeschoben werden, dass eine Anklageerhebung negative Folgen auf die UN-Missionen und die Arbeit der Hilfsorganisationen haben könnte, so dass der Makel erhalten bleibt. Inzwischen hat es Moreno-Ocampo jedenfalls zur meist gehassten Person der sudanesischen Bevölkerung geschafft, dem Ansehen seiner Behörde in Afrika und der arabischen Welt den Rest an Glaubwürdigkeit genommen, eine Welle der Solidarisierung ausgelöst und sogar dafür gesorgt, dass sich ärgste Kritiker wie der von Bashir selbst gestürzte ehemalige Präsident Sadiq el Mahdi jetzt hinter ihn gestellt haben

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