Dienstag, 10. Februar 2009

Der neue Agrarkolonialismus




Der neue Agrarkolonialismus

Von IGNATIO RAMONET, 10. Februar 2009 -

Einer der großen Kämpfe des 21. Jahrhunderts wird um die Ernährungsgüter ausgefochten werden. Staaten, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind, spüren bereits die negativen Folgen steigender Preise in dieser Branche. Die reichen Staaten haben diesen Trend über lange Zeit hinweg akzeptiert, bis sie im Frühjahr 2008 von protektionistischen Maßnahmen der Erzeugerstaaten aufgeschreckt wurden, die ihre Naturalienexporte begrenzten. Von da an entschieden sich besonders die Staaten mit wachsenden Wirtschafts- und Bevölkerungszahlen in zunehmendem Maße, Reserven anzulegen, indem sie fruchtbare Flächen im Ausland aufkauften – Agrarland, das sie selbst nicht besitzen.




Zur gleichen Zeit kauften auch Spekulanten immer mehr Agrarflächen, um mit ihnen Geschäfte zu machen. Sie sind davon überzeugt, dass Nahrungsmittel das Gold künftiger Zeiten sind. Nach ihrer Ansicht wird sich bis zum Jahr 2050 das Angebot verdoppeln, um die weltweite Nachfrage zu decken. „Investieren Sie in Korn! Kaufen Sie Land!“, insistiert Jim Rogers, ein Guru des Rohstoffmarktes. Der US-Milliardär George Soros setzt derweil auf Agrartreibstoffe und hat Landflächen in Argentinien erworben. Eine schwedische Unternehmensgruppe hat eine halbe Million Hektar in Russland gekauft und der russische Hedge-Fonds Renaissance Capital 300.000 Hektar in der Ukraine. Die britische Landkom erstand 100.000 Hektar Agrarland in der Ukraine, während sich das US-Bankhaus Morgan Stanley und die agroindustrielle Louis-Dreyfus-Gruppe aus Frankreich mit zehntausenden Hektar in Brasilien eindeckten. Das sind nur einige Beispiele.


Die größten Ankäufer von Land weltweit sind Staaten, die über Petrodollar oder weitreichende Devisenreserven verfügen. An der Spitze dieser Gruppe steht Südkorea mit 2.306.000 Hektar Bodeneigentum im Ausland. Es folgen China (2,09 Millionen), Saudi Arabien (1,61 Millionen), die Vereinigten Arabischen Emirate (1,28 Millionen) und Japan (324.000 Hektar).Die Gesamtfläche des aufgekauften Agrarlandes im Ausland beläuft sich auf rund acht Million Hektar. In dünn besiedelten Staaten befinden sich mitunter ganze Regionen unter ausländischer Kontrolle, weil die entsprechenden Regierungen willens sind, einen Teil der nationalen Souveränität zu veräußern. Ein besorgniserregendes Phänomen. In einem alarmierenden Bericht spricht die Nichtregierungsorganisation Grain von einer „Hortung von Boden auf internationalem Niveau“.



Bar ausreichender Agrarflächen und Wasserreserven haben sich zuerst die Golfstaaten engagiert. Kuwait, Katar und Saudi Arabien kaufen Landparzellen wo immer es geht. „Sie haben das Land, wir das Geld“, heißt es von den Investoren am Golf. Die Vereinigten Arabischen Emirate besitzen inzwischen 900.000 Hektar Land in Pakistan und sie planen landwirtschaftliche Projekte in Kasachstan. Libyen hat im Austausch gegen Erdöl und Erdgas 250.000 Hektar Boden in der Ukraine erstanden. Und der saudischen BinLaden-Unternehmensgruppe gehören ausgedehnte Flächen in Indonesien, auf denen Reis angebaut wird. Investoren aus dem Emirat Abu Dhabi haben zehntausende Hektar in Pakistan gekauft. Jordanien baut Agrarprodukte im Sudan an. Ägypten kontrolliert 850.000 Hektar in Uganda, um Weizen und Mais anzubauen.

Bei dem Wettlauf um Agrarflächen steht China unter dem größten Handlungsdruck. Die Führung der Volksrepublik muss 1,4 Milliarden Münder stopfen, verfügt aber nur über sieben Prozent der global vorhandenen fruchtbaren Flächen. Zudem hat die Industrialisierung und das Wachstum der städtischen Zentren acht Millionen Hektar Agrarflächen im eigenen Land zerstört. Einige der ursprünglich verfügbaren Anbaugebiete leiden unter Desertifikation. „Wir haben nur wenig Raum für die Agrarproduktion zur Verfügung und es wird immer schwerer, den Ertrag zu steigern“, erklärt Nie Zhenbang, der Chef des staatlichen Büros für Getreide.

Link:www.hintergrund.de

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