Freitag, 6. März 2009

Der "Imperialismus" ist unzeitgemäß


Der "Imperialismus" ist unzeitgemäß


Von Schakalen, Totschlägern, Eroberern und Rittern von der traurigen Gestalt

Der Imaperialismus war 500 Jahre lang in Europa vom Zauber einer historischen Mission umgeben. Heute ist die gewalttätige einseitige Landnahme im großen Stile nur noch ein Verbrechen. Zwei Neuerscheinungen diesen Jahres berichten von dieser Umwälzung der moralischen Fundamente des Westens: Peter Sloterdijk "Im Weltinnenraum des Kapitals" und John Perkins "Bekenntnisse eines Economic Hit Man ".


Peter Sloterdijk schreibt seine philosophische Geschichte der Globalisierung um die Frage herum, wieso die USA, 200 Jahre lang das bewunderte Zentrum des Weltkapitalismus, seit dem Irakkrieg als "Fremdkörper im moralischen Ökosystem der posthistorischen Weltkommune" wahrgenommen werden. Bei John Perkins, über Jahrzehnte ein erfolgreiches Mitglied der US-Finanzelite, zerbricht der amerikanische Urglaube, dass das Tun Amerikas letztendlich ein gerechtes Tun sei, in Selbstanklagen:


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Die Mittel der Economic Hit Men (EHM) sind betrügerische Finanzanalysen, Wahlmanipulationen, Bestechung, Erpressung, Sex und Mord. Ihr Spiel ist so alt wie die Macht, doch heute, im Zeitalter der Globalisierung, hat es neue und erschreckende Dimensionen angenommen. Ich weiß das, ich war ein EHM (Economic Hit Man).
John Perkins

Was bedeutet diese Verschiebung im moralischen Bewusstsein? Was ist das Neue an der "Globalisierung", das John Perkins alterprobte imperiale Machttechniken in einem moralisch neuen Licht sehen, vor Amerikas Selbstgewissheit erschrecken lässt?

Eine geschichtsphilosophische Antwort bietet Peter Sloterdijk. Globalisierung ist für Sloterdijk der fünfhundertjährige Prozess der europäischen Welteroberung. Diese Welteroberung war mit dem Ende des Kolonialismus nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich das "europäische Weltsystem" global entfaltet. Seine Grundsätze definieren die gesamte Lebensweise auf dem Globus. Sloterdijk nimmt den Terminus "Globus" in "Globalisierung" ernst und fragt sich: Seit wann gibt es eine Rede vom "Globus" und was bedeutet sie?


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Die Landkarte absorbiert das Land, das Bild der Erdkugel bringt für das vorstellende Denken des Raumes die realen Ausdehnungen allmählich zum Verschwinden.

Deswegen beginnt für den terrestrischen Globus, dieses typographische Wunderwerk, das die neuzeitlichen Menschen mehr als jedes andere Bild über ihre Verortung informiert, eine glanzvolle Erfolgsgeschichte, die sich über eine Zeitspanne von mehr als fünfhundert Jahren erstreckt. (...) In seiner dominierenden Epoche wird der Erdglobus nicht nur Leitmedium der neuen homogenisierenden Ortung; nicht nur wird er zu einem unentbehrlichen Weltanschauungs-Instrument in den Händen aller, die in der Alten Welt und ihren Dépendancen zu Macht und Kenntnissen gekommen ist. Er protokolliert darüber hinaus, dank fortgehender Novellierungen der Kartenbilder, die permanente Offensive der Entdeckungen, Eroberungen, Erschließungen und Benennungen, mit denen sich die vorrückenden Europäer, maritim und terran, im universalen Außen etablieren.
Peter Sloterdijk



Die Globalisierung ist eine seit fünfhundert Jahren andauernde Revolution des Weltbildes. An die Stelle des ptolemäischen Weltbildes, in dem jeder Ort unter einem ihm eigenen Himmel geborgen ist, tritt das Bild einer Erde, auf der jeder Ort nur noch ein verkehrstechnisch mehr oder weniger gut erschlossener Punkt ist, ein möglicher Standort auf der Kugeloberfläche der Erde für das weltweit agierende Kapital. Die Mittel zur Herstellung der neuen Welt waren Entdeckung, Eroberung, Unterwerfung, die bekannten Machttechniken des Kolonialismus und Imperialismus. Diese galten den europäischen Mächten gerechtfertigt durch ihre welthistorische Mission. Ihre Verbrechen waren heroische Taten, da sie einem historischen Telos dienten. Die zur unilateralen Bluttat moralisch enthemmende Instanz war "die Geschichte".


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Die Ideologen (deren funktionale Vorgänger im 16. Jahrhundert die italienischen secretarii und die Beichtväter der Fürsten waren) enthemmten sich selbst und ihre Klienten üblicherweise im Namen der "Geschichte" und ihrer ehernen Gesetze - daher die für diese Ratgeber unvermeidliche Aufgabe, ihre nicht selten gewalthaften Einflüsterungen als Ausflüsse einer "Wissenschaft von der Geschichte" zu präsentieren.
Peter Sloterdijk

Diese "Geschichte" ist heute beendet, das Ziel ist erreicht. Die globalisierte Erde ist Realität. Das Zeitalter der "Globalisierung" ist geronnen zum "Globalen Zeitalter".


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"Abschluss der terrestrischen Globalisierung" - das heißt: Man weiß nun ein für allemal, daß man an keinem Ort der Welt mehr als erster eintrifft; man hat auch explizit in Rechnung zu stellen, daß man sich zu keinem Thema der Welt diskursunabhängig äußern kann. (...)

Zur Globalisierung gehört das Abenteurertum, zur Globalität die Reservierung. Mit Musketen, Macheten und vagen Karten gingen die Entdecker der Globalisierungsära an Bord der auslaufenden Schiffe, die Vortragenden des Globalen Zeitalters besteigen die Flugzeuge mit Platzkarte und fertigem Manuskript.
Peter Sloterdijk

Die Erde bietet keinen Raum mehr für weit ausgreifende Bewegungen, sie ist eingeengt durch Rück- und Wechselwirkungen. Für imperiale Einseitigkeiten ist in der etablierten Globalität kein Platz mehr. Sie ist der Zustand "erzwungener Nachbarschaft mit unzähligen zufällig Koexistierenden", ein Leben im "Kristallpalast", ein Zustand erhöhter Dichte, der zu Kommunikation und Rücksichtnahme zwingt.


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Durch chronischen Aufenthalt in dichten Milieus wird uns Gehemmtheit zur zweiten Natur. Ist sie moralisch und physisch ausreichend eingeübt, wird das bloß einseitige Ergreifen der Initiative wie eine Utopie erscheinen, die den Gegebenheiten nicht mehr entspricht. Freiheit zur Tat, wie man sie einst verstand, wirkt inzwischen wie ein Märchenmotiv aus der Zeit, als das Angreifen noch geholfen hat. Wenn man noch da und dort eine einseitige Expansion beobachtet, ist dies Indiz dafür, dass gewisse Akteure weiterhin meinen, vordichte, enthemmungsfördernde Verhältnisse vorzufinden. Im allgemeinen darf man aber sagen, dass alle "jungfräulichen Böden", wo auch immer, ihre Besiedler gefunden haben. Hohe Dichte bedeutet in prozesstheoretischer Sicht: Die Erfolgsphase der unilateralen Praxis ist vorüber, ohne das ein gelegentliches heftiges Nachbeben auszuschließen wäre. Die Akteure sind vertrieben aus dem historischen Eden, in dem den Einseitigen das Heil versprochen war.
Peter Sloterdijk

In der eroberten Welt wird der Eroberer zum Don Quixote

Wenn die posthistorische Welt kein Raum mehr für einseitige Expansionen lässt, für eine unilaterale Praxis, wird die Frage um so drängender: Was bedeutete der US-amerikanische Unilateralismus des Irakkrieges? Verstehen die USA die Zeichen der Zeit nicht? Was hindert sie, sich einzugliedern in die "posthistorische" Weltgemeinschaft? Wie zukunftsfähig ist dieser Rückfall in "historische Zeiten"?

John Perkins sieht im gewalttätigen Unilateralismus der USA einen Verrat an den moralischen Fundamenten der Republik, an den Idealen der Gründerväter. Für Peter Sloterdijk sind die geistigen Fundamente Amerikas selbst mitverantwortlich für die moralische Isolation der USA in der "posthistorischen Weltkommune". Das ständige Vorsichhertragen der Idealen der Gründerväter macht die USA blind für die reale historische Situation.

Sloterdijk vermutet einen komplizierten Verblendungszusammenhang, der eng verwoben ist mit dem amerikanischen Auserwähltheitsglauben. Im goldenen Zeitalter Amerikas, als die revolutionäre Republik noch umgeben war von kolonialistischen und imperialistischen Mächten, machte der Glaube an die demokratische Mission Amerikas noch Sinn. In der posthistorischen Welt wird dieser Glaube zur Falle. "Für Auserwählte ist die Mittelmäßigkeit verboten." Folge ist eine systematische psychosoziale Bilanzfälschung. Die "beschönigende Fälschung der Activa" und die "Unterschlagung von Depressionsgründen" durchdringt in Sloterdijks Diagnose das gesamte amerikanische Motivationssystem. Das ganze Land ist manisch. Es kann und darf keine Niederlagen geben. Unkontrollierbare Abhängigkeiten können daher nicht geduldet werden, ihre Existenz wird mit aller mobilisierbarer Energie geleugnet.


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Mit einer Blindheit, die an antike Helden denken lässt, übersehen die amerikanischen Strategen und ihre Konsultaten dank ihrer erworbenen Unfähigkeit, elementare Tatsachen zu erkennen, dass reziproke Hemmung den modus operandi des postmodernen Weltzusammenhangs als solchen ausmacht, weil dieser unweigerlich auf Verdichtung, Zurückkoppelung und - um das ausgelaugte Wort nun doch zu benutzen - Vernetzung beruht.
Peter Sloterdijk

Trotz dieser erworbenen Blindheit ist der "postmoderne Weltzusammenhang" auch für die USA eine unhintergehbare Voraussetzung ihres Handelns. In welcher Gestalt also kehrt das Verleugnete in der amerikanischen Strategie wieder?

John Perkins nennt den amerikanischen Unilateralismus zwar "Weltreich", er beschreibt jedoch faktisch ein klandestines, an Mafiamethoden erinnerndes Verfahren der Bereicherung im großen Stil und seine Krise in postmodernen Zeiten.


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Das ist die eigentliche Kompetenz der EHM: Wir bauen ein Weltreich auf. Wir sind eine Elite aus Frauen und Männern die internationale Finanzorganisationen dazu benutzen, jene Bedingungen zu schaffen, mit denen andere Länder der Korporatokratie unterworfen werden sollen. Und diese Korporatokratie beherrscht unsere größten Konzerne, unsere Regierung und unsere Banken. Wie unsere Pendants in der Mafia bieten wir EHM einen Dienst oder eine Gefälligkeit an. Das kann zum Beispiel ein Kredit zur Entwicklung der Infrastruktur sein: Stromkraftwerke, Schnellstraßen, Häfen, Flughäfen oder Gewerbeparks. An den Kredit ist die Bedingung geknüpft, dass Ingenieurfirmen und Bauunternehmer aus unserem Land all diese Projekte bauen. Im Prinzip verlässt ein Großteil des Geldes nie die USA, es wird einfach von Banken in Washington an Ingenieurbüros in New York, Houston oder San Francisco überwiesen.

Obwohl das Geld also fast umgehend an Unternehmen zurückfließt, die zur Korporatokratie (dem Geldgeber) gehören, muss das Empfängerland alles zurückzahlen, die Schuldsumme plus Zinsen. Wenn ein EHM richtig erfolgreich ist, dann sind die Kredite so hoch, dass der Schuldner nach einigen Jahren seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Dann verlangen wir wie die Mafia unseren Anteil. Dazu gehören vor allem: die Kontrolle über die Stimmen in der Uno, die Errichtung von Militärstützpunkten oder der Zugang zu wichtigen Ressourcen wie Öl oder die Kontrolle über den Panamakanal. Natürlich erlassen wir dem Schuldner dafür nicht die Schulden und haben uns so wieder ein Land dauerhaft unterworfen.
John Perkins

Soweit das ökonomische Handlungsmodell. Sein zentrales Gebot ist die Verschwiegenheit aller Beteiligten. Es kann nur im Verborgenen funktionieren, öffentlich vollzogen würde es in einem Sturm der moralischen Empörung untergehen.

Wenn alles wie beabsichtigt läuft, erfährt die Öffentlichkeit von dem Deal einzig die desaströsen Folgen: den Ruin eines Landes. Über die tatsächlichen Ursachen erfährt sie nichts. Misswirtschaft einer korrupten Elite in irgendeinem Land der Dritten Welt ist dann die populär verbreitete Erklärung. Dass Absicht und strategische Planung dahinter waen, kann jederzeit als verschwörungstheoretische Unterstellung, als "kommunistische" Propaganda abgetan werden.

Das Modell setzt in jeder Phase seiner Umsetzung genau die "Tathemmungen der verdichteten Welt" voraus, die Sloterdijk als postmoderne Errungenschaft beschreibt. Ohne das vielfach verwobene Geflecht des globalen Kapitalismus, die festgefügten Institutionen der weltweit operierenden Banken und Konzerne, der Verkehrsströme der Finanzen, Waren und Informationen würde es nicht funktionieren.

Das Weltreich der Economic Hit Men

Wie Perkins berichtet, war die Geburtsstunde der EHM die erfolgreiche Operation des CIA-Agenten Kermit Roosevelt im Iran, die zum Sturz der demokratischen Regierung Mossadegh und zur Inthronisation des Schahs führte.


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Wenn die USA ihren globalen Herrschaftsanspruch (wie er etwa den Präsidenten Johnson und Nixon vorschwebte) durchsetzen wollten, dann musste sich die neue Strategie an Roosevelts Beispiel im Iran orientieren. Das war der einzige Weg, die Sowjetunion zu besiegen, ohne einen Atomkrieg zu provozieren.
John Perkins

Das "Weltreich" der EHM war schon von Anbeginn an hart an der Grenze des Illegitimen. In der Zeit des Kalten Krieges konnten die Akteure jedoch noch glauben, es wäre als verdecktes Kampfmittel im Weltbürgerkrieg gerechtfertigt. Mit dem Untergang der Sowjetunion ist auch diese Rechtfertigung zerstoben. Seitdem kriselt das Modell als solches. In immer neuen Wellen ökonomischer und politischer Aufklärung gerät das amerikanische Modell globaler Ökonomie und Politik in die Kritik und ein Land nach dem anderen versucht, den Zwängen der EHM-Umklammerung zu entkommen.

Wie ordnet sich vor diesem Hintergrund der Irakkrieg ein? Wieso konnten die Bushisten glauben, dass dieser Krieg eine sinnvolle Antwort auf die Krise des EHM-Modells sein konnte, und warum hat der Irakkrieg auf John Perkins eine solch kathartische Wirkung, dass er das Schweigen der EHM bricht und öffentlich Beichte ablegt?


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Kurz nach meiner Rückkehr aus Ecuador im Jahr 2003 marschierten die USA ein zweites Mal in 14 Jahren in den Irak ein. Die EHM waren gescheitert, und auch die Schakale hatten versagt. Also wurden junge Männer und Frauen ausgeschickt, um zu töten und im Wüstensand zu sterben.
John Perkins

Und an anderer Stelle:


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Als ich diese Artikel (über die wirtschaftlichen Kriegsgewinnler des Irakkrieges, die Bechtels, Halliburtons etc. und ihre Verbindungen zur US-Regierung in amerikanischen Mainstream-Medien d.A.) las, musste ich darüber nachdenken, wie viele Menschen außer mir wohl wussten, dass Saddam noch im Amt wäre, wenn er das gleiche Spiel gespielt hätte wie die Saudis. Er hätte seine Raketen und Chemiefabriken bekommen; wir hätten sie für ihn gebaut, und Vertreter unserer Firmen wären heute damit beschäftigt, sie zu warten und auf den neuesten Stand zu bringen. Es hätte ein fabelhaftes Geschäft für alle Beteiligten werden können.
John Perkins

Die kriegerische Intervention bringt die moralische Haltlosigkeit des unsichtbaren amerikanischen Imperiums ans Tageslicht

Die militärische Intervention ist die dritte Stufe des EHM-Modells, seine ultima ratio. Sie soll Abweichler zur Räson bringen und die Fortsetzung der guten Geschäfte sicherstellen. Als eine solche Fortsetzung der EHM-Ökonomie mit militärischen Mitteln ist der Irakkrieg jedoch nicht sehr überzeugend. Er verletzt ein wesentliches Grundprinzip der EHM-Ökonomie: "Die Zeche zahlen die Anderen." Die Bechtel, Halliburton, Stone & Webster und Brown & Root etc. kassieren nicht zu Lasten eines anderen Landes, das die Rechnung am Ende zahlen muss, sondern weitgehend zu Lasten der amerikanischen Staatsschuld.

In der "posthistorischen" Welt kann die ultima ratio das EHM-Imperium nicht mehr retten, im Gegenteil, die kriegerische Intervention bringt die moralische Haltlosigkeit des ganzen unsichtbaren amerikanischen Imperiums ans Tageslicht. Dieser Krieg ist daher ein moralisches und politisches Monstrum. Er verstößt auf eklatante Weise sowohl gegen die moralischen Fundamente der amerikanischen Republik, als auch gegen die postmoderne Moral der Weltkommune. Die militärische Eroberung des Irak verrottet in einem Sumpf aus Korruption, Skandalen und Peinlichkeiten, das Land versinkt in Anarchie und die Versuche, Heldentum zu demonstrieren erinnern an eine Comic-Version des Heroischen. Wir hatten den Irakkrieg deshalb in einem früheren Artikel Operettenimperialismus getauft. Der Versuch ihn mit Hilfe der "historischen Mission" Amerikas zu rechtfertigen, ist am Ende nur geeignet, den Glauben an diese "historische Mission" selbst auf Dauer zu diskreditieren. Dies nicht zu sehen, ist die eigentliche Blindheit der Bush-Regierung und dies erschüttert Perkins bis ins Mark.

Für die USA ist der Irakkrieg ein moralisches, ökonomisches, militärisches und politisches Desaster. John Perkins Lebensbeichte ist ein Symptom für die Tiefe dieser Krise. Perkins hat ein Gespür für existenzbedrohende Krisen. Er verstand es stets, frühzeitig ein sinkendes Schiff zu verlassen, noch bevor andere sich überhaupt vorstellen konnten, dass es Lecks geben könnte. Er kündigte z.B. 1980 seinen Posten des Chefökonom bei der Consultingfirma MAIN, als alle Kollegen dies noch für eine Wahnsinnstat hielten. 4 Jahre später war die Firma pleite und die verbliebenen Partner erhielten weniger als die Hälfte für ihre Anteile. Später gründete er eine erfolgreiche Energiefirma, die er rechtzeitig mit ordentlichem Gewinn verkaufen konnte. Man sollte seine Krisendiagnose deshalb ernst nehmen. Geben wir ihm noch ein weiteres Mal das Wort:


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Die globale Vorherrschaft der Vereinigten Staaten beruht im Wesentlichen darauf, dass der US-Dollar die Standard- und Reservewährung der Welt ist und dass die United States Mint das Recht besitzt, diese Dollars zu drucken. Und so vergeben wir Kredite an Länder wie Ecuador, wohl wissend, dass diese Staaten sie niemals werden zurückzahlen können; wir wollen auch gar nicht, dass sie ihre Schulden begleichen, denn diese Nichtzahlung gibt uns die Mittel an die Hand, die wir brauchen. Unter normalen Umständen würden wir dadurch unser Kapital ernsthaft gefährden, denn kein Gläubiger kann es sich dauerhaft leisten, allzu viele uneinbringliche Kredite in seinen Büchern zu haben.

Aber wir leben nicht unter normalen Umständen. Die Vereinigten Staaten drucken Geld, das nicht durch Gold gedeckt ist. Es wird im Wesentlichen durch nichts anderes gedeckt als durch das allgemeine weltweite Vertrauen in unsere Wirtschaft und in unsere Fähigkeit, die Kräfte und die Ressourcen des Imperiums, das wir geschaffen haben, richtig zu nutzen und einzusetzen. Dass wir Geld drucken können, verleiht uns enorme Macht. Es bedeutet unter anderem, dass wir weiterhin Darlehen vergeben können, die aller Wahrscheinlichkeit nach nie zurückgezahlt werden, und dass wir gigantische Schuldenberge aufhäufen können. Anfang 2003 beliefen sich die Schulden der Vereinigten Staaten auf atemberaubende sechs Billionen Dollar, und sie sollten bis Ende des Jahres auf sieben Billionen steigen - was ungefähr 24 000 Dollar für jeden US-Bürger entspricht. Hauptgläubiger der USA sind die asiatischen Länder, vor allem Japan und China, die in großem Umfang US-Staatsanleihen und -Wertpapiere kaufen (insbesondere Schuldverschreibungen), und zwar mit Devisen, die sie durch den Export von Konsumgütern in erster Linie Elektronikartikel, Computer, Autos, Haushaltsgeräte und Textilien in die USA und andere Teile der Welt erwirtschaftet haben.

Solange die Welt den US-Dollar als Standard- und Reservewährung akzeptiert, stellt diese exzessive Verschuldung keine ernste Gefahr für die Korporatokratie dar. Sollte irgendwann jedoch eine andere Währung den Dollar ersetzen oder sollten sich einige von Amerikas Gläubigern ( Japan oder China) entschließen, einen Teil dieser Wertpapiere zu verkaufen, um ihr Geld zurückzuholen, würde sich die Situation dramatisch verändern. Die Vereinigten Staaten würden sich schlagartig in einer höchst prekären Lage wiederfinden.

Dass eine solche konkurrierende Währung entstehen könnte, ist keineswegs ausgeschlossen: Im Januar 2002 trat der Euro auf die internationale Bühne und gewinnt zunehmend an Prestige und wirtschaftlicher Bedeutung. Der Euro bietet den OPEC-Staaten eine unerwartet günstige Gelegenheit, wenn sie Vergeltung üben wollen für die Irak-Invasion oder sich aus einem anderen Grund dazu entschließen, die Vereinigten Staaten unter Druck zu setzen. Würde die OPEC beispielsweise ihre Ölexporte in Euro statt in Dollar abrechnen, dann würde das US-Imperium in seinen Grundfesten erschüttert werden. Sollten darüber hinaus einer oder zwei unserer Hauptgläubiger verlangen, dass wir unsere Schulden in Euro zurückzahlen, dann würde es zu enormen Turbulenzen kommen.
John Perkins

Das Dollarsystem ist - trotz des gewaltigen Aufwandes des Irak-Abenteuers - keineswegs sicherer geworden. Mit Saddam wurde zwar eine akute Gefahr für den Dollar beseitigt, jedoch bleibt die weit größere Gefahr der langsamen, schleichenden Zersetzung des Systems durch die immanenten Prozesse des Weltkapitalismus bestehen.

Imperiale Asymmetrien lassen sich im entfalteten globalen Weltsystem immer schwerer aufrechterhalten. In der postmodernen Welt gibt es keine dauerhafte Überlegenheit, weder eine ökonomische, noch eine politische, noch eine technologische, damit aber auch keine militärische.

Die Zwanzigjahr-Pläne der USA für eine Hightecharmee z.B. offenbaren ihre Absurdität, wirft man einen Blick auf die Standortgeschichte der Computertechnologie der letzten zwanzig Jahre: Es war eine Zeit ständiger Umzüge: Vom Silicon Valley nach Taiwan und heute weiter nach China. Was vor zwanzig, dreißig Jahren das "Bell Lab" war, findet heute in Shenyang oder Shenzhen statt. Und wo das Weltzentrum der Hightech in zwanzig Jahren sein wird, kann heute noch niemand wissen. Wie aber soll ein militärtechnisches Programm eine dauerhafte Überlegenheit der USA garantieren, wenn die Forschungskompetenz auf diesem Sektor sich überall auf der Erde niederlassen kann? Was hindert andere Länder in dem avisierten Projektzeitraum von 20 Jahren effektive militärtechnische Gegenstrategien zu entwickeln? Das für solche Strategien notwendige Wissen ist in der postmodernen Welt ubiquitär. Kein Land und kein Konzern kann die globale Wissensallmende für sich monopolisieren, egal was die Patentanwälte dazu meinen.

Lokale Innovateure und Entrepeneure können sich in der entfalteten globalen Welt mit der Geschwindigkeit der modernen Transport- und Kommunikationssysteme jederzeit in Global Player verwandeln und scheinbar fest etablierte Asymmetrien stürzen. Der Aufstieg Chinas bietet Anschauungsmaterial für einen solchen Vorgang. Zwar sind alle Orte mögliche Standorte für Investitionen, sie bleiben aber dennoch als Orte lokal verwurzelt, entfalten ihre Stärke aus sich heraus.


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Die große Mobilmachung durch das Kapital muss stehenlassen, was sich der Liquidierung widersetzt. Sie kann lokale Kulturen nicht per Auslandsüberweisung transferieren, sie kann die generativen Prozesse modifizieren, aber nicht ersetzen.
Peter Sloterdijk

Die Sloterdijksche Geschichte der Globalisierung klingt daher mit einem Lob auf das Irreduzible, das Störrische des Lokalen, der Vielfalt der Sprachen und des unhintergehbar Natürlichen aus, übrigens ganz ähnlich wie John Perkins Beichte mit einem Blick auf die Ureinwohner Ecuadors endet. Die postmoderne Welt des 21. Jahrhunderts wird eine multipolare Welt regionaler Kompetenzen sein. Für "ewige" Asymmetrien ist in ihr auf Dauer kein Platz.

John Perkins: Bekenntnisse eines Economic Hit Man. Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia. Riemann Verlag. 384 Seiten. € 19,00. ISBN: 3-570-50066-7

Peter Sloterdijk: Im Weltinnenraum des Kapitals. Für eine philosophische Theorie der Globalisierung. Suhrkamp Verlag. Etwa 416 Seiten. ca. € 24,80. ISBN 3-518-41676-6

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