Ein Ausschnitt aus dem Vorwort zur dritten korrigierten und erweiterten Auflage von Die Massenpsychologie des Faschismus von Wilhelm Reich im August 1942:
Der Faschismus wurde zur Zeit der ersten Niederschrift dieses Buches allgemein als eine »politische Partei« betrachtet, die wie andere »soziale Gruppierungen« eine »politische Idee« organisiert vertrat. Demzufolge »führte die faschistische Partei den Faschismus mittels Gewalt oder durch »politische Manöver« ein«.
Im Gegensatz dazu hatten mich meine ärztlichen Erfahrungen mit Menschen vieler Schichten, Rassen, Nationen, Glaubensbekenntnissen etc. gelehrt, daß »Faschismus« nur der politisch organisierte Ausdruck der durchschnittlichen menschlichen Charakterstruktur ist, eine Struktur, die weder an bestimmte Rassen oder Nationen gebunden ist, die allgemein und international ist. In diesem charakterlichen Sinne ist »Faschismus« die emotionelle Grundhaltung des autoritär unterdrückten Menschen der maschinellen Zivilisation und ihrer mechanistisch-mystischen Lebensauffassung.
Der mechanistisch-mystische Charakter der Menschen unserer Epoche schafft die faschistischen Parteien und nicht umgekehrt.
Der Faschismus wird auch heute noch, infolge des politischen Fehldenkens, als eine spezifische Nationaleigenschaft der Deutschen oder der Japaner aufgefaßt. Aus der ersten Fehlauffassung folgen alle weiteren Fehldeutungen.
Der Faschismus wurde und wird noch immer, zum Schaden der echten Freiheitsbestrebungen, als die Diktatur einer kleinen reaktionären Clique aufgefaßt.
Die Hartnäckigkeit dieses Irrtums ist der Angst vor dem Erkennen der wirklichen Sachlage zuzuschreiben: Der Faschismus ist eine internationale Erscheinung, die sämtliche Körperschaften der menschlichen Gesellschaft aller Nationen durchsetzt. Dieser Schluß ist in Übereinstimmung mit den internationalen Vorgängen der letzten 15 Jahre.
Meine charakteranalytischen Erfahrungen überzeugten mich dagegen, daß es heute keinen einzigen lebenden Menschen gibt, der nicht in seiner Struktur die Elemente des faschistischen Fühlens und Denkens trüge. Der Faschismus als politische Bewegung unterscheidet sich von anderen reaktionären Parteien dadurch, daß er von Menschenmassen getragen und vertreten wird.
Mir ist die Verantwortungsfülle solcher Behauptungen voll bewußt. Ich wünschte im Interesse dieser zerschundenen Welt, daß der arbeitenden Menschenmasse ihre Verantwortung für den Faschismus ebenso klar wäre.
Man muß scharf zwischen gewöhnlichem Militarismus und Faschismus unterscheiden. Das Wilhelminische Deutschland war militaristisch, aber nicht faschistisch.
Da der Faschismus stets und überall als eine von Menschenmassen getragene Bewegung auftritt, verrät er alle Züge und Widersprüche der Charakterstruktur des Massenmenschen: Er ist nicht, wie allgemein geglaubt wird, eine rein reaktionäre Bewegung, sondern er stellt ein Amalgam dar zwischen rebellischen Emotionen und reaktionären sozialen Ideen.
Versteht man unter Revolutionärsein die rationale Auflehnung gegen unerträgliche Zustände in der menschlichen Gesellschaft, den rationalen Willen, »allen Dingen auf den Grund zu gehen« (»radikal« – »radix« = »Wurzel«) und sie zu bessern, dann ist der Faschismus nie revolutionär. Er mag zwar im Gewande revolutionärer Emotionen auftreten. Aber man wird nicht den Arzt revolutionär nennen, der gegen eine Krankheit mit ausgelassenen Schimpfworten vorgeht, sondern denjenigen, der still, mutig und gewissenhaft die Ursachen der Krankheit erforscht und bekämpft. Faschistisches Rebellentum entsteht immer dort, wo eine revolutionäre Emotion durch Angst vor der Wahrheit in die Illusion umgebogen wird.
Der Faschismus ist in seiner reinen Form die Summer aller irrationalen Reaktionen des durchschnittlichen menschlichen Charakters. Dem bornierten Soziologen, dem der Mut zur Anerkennung der überragenden Rolle des Irrationalen in der Menschheit fehlt, erscheint die faschistische Rassentheorie bloß als imperialistisches Interesse oder, milder, als »Vorurteil«. Ebenso dem verantwortungslosen, phrasenhaften Politikanten. Die Rasanz und die weite Verbreitung dieser »Rassenvorurteile« bezeugt ihre Herkunft aus dem irrationalem Teil des menschlichen Charakters. Die Rassentheorie ist keine Schöpfung des Faschismus. Umgekehrt: Der Faschismus ist eine Schöpfung des Rassehasses und sein politisch organisierter Ausdruck. Demzufolge gibt es einen deutschen, italienischen, spanischen, anglosächsischen, jüdischen und arabischen Faschismus. Die Rasseideologie ist ein echt biopathischer Charakterausdruck des orgastisch impotenten Menschen.
Ein paar schöne Zitate vom Reich:
Es fordert zuviel Denken, Geradheit, Wissen, Selbstkritik, daß ein Arzt als Hauptziel seiner Tätigkeit gerade die Verhütung derjenigen Krankheiten ansieht, von deren Heilung er lebt.– Wilhelm Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus
Es ist nicht glaubhaft, doch wahr, daß die genaue Analyse des genitalen Verhaltens jenseits der Worte wie „Ich habe mit einer Frau bzw. einem Mann geschlafen“ in der Psychoanalyse streng verpönt ist.– Wilhelm Reich: Die Funktion des Orgasmus
Ich habe mehr als ein Jahrzehnt Anschauungen verteidigt, vor denen mich mein inneres Gefühl warnte, denen ich aber nichts Besseres entgegenzusetzen hatte. (...) Immer wieder passierte es, daß ich einen mir fremden Weg ging, bis mein inneres Widerstreben allzu stark mahnte und ich abbrach. (...) Jede Beschäftigung mit einer Sache fraß mich ganz. Das gab viel Leiden, doch ich möchte es nicht missen. Es war meine größte Stärke.– Wilhelm Reich: Reich: Leidenschaft der Jugend, S. 99f
Wer noch tiefer in die Materie eintauchen will, dem empfehle ich die Charakteranalyse von Wilhelm Reich und das LSR-Projekt.
das ist genial und einleuchtend!
AntwortenLöschenda brauch ich den Le Bon wohl nicht mehr fertig lesen- gott sei dank!
- und Dutschke hatte diesen Mechanismus verstanden.
Gustave Le Bon schrieb über etwas ganz anderes. Und, ob Rudi Dutschke als bekennender Marxist Reichs Erkenntnisse verstanden hatte, bezweifle ich. Das war doch ein Anhänger der Kritischen Theorie und somit gegen Reich. Im im Artikel genannten LSR-Projekt werden zwei weitere Autoren behandelt, die darauf gekommen sind: Julien Offray de La Mettrie und Max Stirner. Es gibt wohl auch nicht viel mehr.
AntwortenLöschenEs stellt sich die Frage, wie die modernen Medien und Internettechnologien die Menschen weiter beeinflussen und formen? Siehe http://www.rusz.net/research/onlinecrowds.html
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