Flugabwehr für die Exilführung
19.11.2012
Gegen Raketen und Flugzeuge
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, steht ein
Einsatz deutscher Soldaten unmittelbar an der syrischen Grenze bevor.
Demnach wolle die Türkei noch am heutigen Montag eine offizielle Bitte
an die NATO richten, Flugabwehrraketen vom Typ "Patriot" im Südosten
ihres Hoheitsgebietes zu stationieren. Man wolle sich damit gegen
Angriffe der syrischen Luftwaffe schützen, heißt es. Die Stationierung
der "Patriot"-Batterien mache auch deutlich, dass Ankara sich auf die
Unterstützung der NATO verlassen könne. In der Tat sei der zuständige
NATO-Oberkommandierende bereit, der türkischen Bitte zu entsprechen.
Auch die Bundesregierung habe bereits ihre Zustimmung deutlich gemacht;
dies sei von Bedeutung, da nur Deutschland, die Niederlande und die USA
über moderne Raketen vom Typ PAC-3 verfügen. Diese sind in der Lage,
Flugzeuge und Raketen gleichermaßen zu bekämpfen. Wie die Süddeutsche
Zeitung schreibt, ist die Entsendung von ein bis zwei Patriot-Staffeln
geplant; da zur Bedienung einer Staffel bis zu 85 Soldaten benötigt
würden, stehe nun ein Kontingent von bis zu 170 deutschen Militärs zur
Debatte. Weil es sich nur um eine Verlegung im Bündnisgebiet handele,
müsse der Bundestag womöglich gar nicht darüber abstimmen.[1]
Stationierung im Konfliktgebiet
Die Stationierung von "Patriot"-Raketen im Südosten
der Türkei ist aus mehreren Gründen von erheblicher Brisanz. Zum einen
hat die PKK in den kurdischsprachigen Gebieten an der Grenze zu Syrien
ihre separatistischen Aktivitäten im vergangenen Jahr deutlich
ausgeweitet. Hintergrund ist, dass Damaskus die Kontrolle über die
kurdischsprachigen Gebiete Syriens schon lange nicht mehr
aufrechterhalten kann und dort inzwischen die PKK-nahe Partiya Yekitîya
Demokrat (PYD, Partei der Demokratischen Union) dominiert. Im Juli hat
die PYD die Kontrolle über mehrere kurdisch geprägte Ortschaften im
Norden Syriens nahe der Grenze zur Türkei übernommen; seither wächst in
Ankara die Befürchtung, die PKK könne ihre grenzüberschreitenden
Aktivitäten ausweiten und den kurdischen Separatismus unkontrollierbar
eskalieren lassen. Entsprechend geht das türkische Militär wieder
deutlich aggressiver gegen die PKK vor. Das Gebiet, in dem die
"Patriot"-Raketen mutmaßlich stationiert werden, ist zumindest teilweise
mit dem Konfliktgebiet identisch.
Flugverbotszonen
Darüber hinaus überwachen die "Patriot"-Radaranlagen,
werden sie tatsächlich an der türkisch-syrischen Grenze stationiert,
diverse Gebiete in Syrien, in denen die Aufständischen die Kontrolle
übernommen haben. Erfasst würden dann syrische Hubschrauber und
Kampfflieger, die gegen die Aufständischen in diesen Gebieten vorgehen;
die "Patriot"-Stationierung trüge damit maßgeblich dazu bei, die
Voraussetzungen für die Einrichtung von Flugverbotszonen zu schaffen,
wie sie von einflussreichen Kräften im Westen und syrischen Rebellen
schon seit langer Zeit gefordert werden. Türkische Medien berichteten
letzte Woche, ranghohe Militärs aus Ankara und Washington hätten sich
nun auf einen entsprechenden Plan geeinigt, der nicht zuletzt die
Stationierung von "Patriot"-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze
vorsehe; das Papier liege mittlerweile Präsident Obama zur Zustimmung
vor. Die Reichweite der "Patriots" beläuft sich auf mehrere Dutzend
Kilometer - genug, um Kampfhandlungen der syrischen Luftwaffe in einem
großen Gebiet entlang der Grenze zu unterbinden.
Die neue Exilführung
Die aktuelle Bedeutung der Pläne für Flugverbotszonen
ergibt sich aus den jüngsten Verhandlungen über die Bildung einer
syrischen Exilregierung in Qatar. Unter erheblichem Druck des Westens
hat sich dort vor wenigen Tagen eine neue Führung gebildet, die den
bislang vom Westen protegierten, von der Muslimbruderschaft dominierten
Syrian National Council (SNC) einbezieht, ihn aber einer neuen Leitung
unterstellt - er hatte sich zuvor als weitgehend handlungsunfähig
erwiesen. Führende Kraft bei den Verhandlungen in Qatar war laut
Berichten [2] der syrische Oppositionelle Riad Seif, der bereits seit
den 1990er Jahren Kontakte zum außenpolitischen Establishment in Berlin
hält und im Juni in die deutsche Hauptstadt übergesiedelt ist. Seif ist
in die Aktivitäten einer multinationalen "Arbeitsgruppe" zur
Umgestaltung der syrischen Wirtschaft involviert, die von einem Büro im
Auswärtigen Amt aus gesteuert wird - von einem Deutschen
(german-foreign-policy.com berichtete [3]). In Qatar ist unter Seifs
Mitwirkung Moaz al Khatib zum Vorsitzenden der neuen "Nationalen
Koalition der syrischen Revolutionäre und der oppositionellen Kräfte"
ernannt worden, ein früherer Prediger an der bedeutenden
Umayyaden-Moschee in Damaskus, der in deutschen Medien meist als
gemäßigter Angehöriger einer der angesehensten Damaszener
Traditionsfamilien beschrieben wird. Kritiker weisen darauf hin, dass Al
Khatib öffentlich Sympathie für den Prediger Yusuf al Qaradawi
bekundet, einen in Qatar ansässigen Muslimbruder, der als einer der
einflussreichsten Islamisten der Gegenwart gilt.[4] Zudem habe er sich
verächtlich über Juden und Schiiten geäußert.[5]
Umzugspläne
Al Khatibs Exilführung plant, in wenigen Wochen ihr
Exil zu verlassen und sich im Norden Syriens zu etablieren.[6] Dort
kontrollieren die Aufständischen inzwischen große Gebiete und die
Mehrzahl der Grenzübergänge in die Türkei, womit die Versorgung der
Rebellenregionen als gesichert gelten kann. Gefährdet werden die
Umzugspläne der Exilführung nur noch durch die syrische Luftwaffe, deren
Angriffe die Aufständischen bislang nicht verhindern können.
Flugverbotszonen würden dies ermöglichen. Sie schüfen damit die
Voraussetzungen, eine syrische Rebellenregierung im Lande zu
installieren und den Aufstand weiter voranzutreiben. Mit deutschen
"Patriot"-Batterien nähme auch die Bundeswehr aktiv daran teil.
Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Syrien-Politik finden Sie hier: Kriegsdrohungen gegen Syrien, Irans Achillesferse, Kriegsszenarien für Syrien, Kriegsszenarien für Syrien (II), Mit der UNO zur Eskalation, Marktwirtschaft für Syrien, Die jemenitische Lösung, Schmuggelkontrolleure, Nach vierzig ruhigen Jahren, The Day After, The Day After (II), Verdeckte Kriegspartei, The Day After (III), The Day After (IV), Im Rebellengebiet und Die Islamisierung der Rebellion.
[1] Bundeswehr soll in die Türkei; www.sueddeutsche.de 17.11.2012
[2] Eine neue Koalition gegen Assad; Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2012
[3] s. dazu The Day After (III)
[4] s. dazu Die kommenden Kräfte
[5] Islamist-In-Chief; www.foreignpolicy.com 14.11.2012
[6] Eine neue Koalition gegen Assad; Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2012
[2] Eine neue Koalition gegen Assad; Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2012
[3] s. dazu The Day After (III)
[4] s. dazu Die kommenden Kräfte
[5] Islamist-In-Chief; www.foreignpolicy.com 14.11.2012
[6] Eine neue Koalition gegen Assad; Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2012
Quelle:www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58467
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen