Donnerstag, 22. November 2012

Flugabwehr für die Exilführung

Flugabwehr für die Exilführung
 
 
19.11.2012
DAMASKUS/ANKARA/BERLIN
 
(Eigener Bericht) - Die Bundeswehr steht möglicherweise vor einem Einsatz unmittelbar an der syrischen Grenze. Medienberichten zufolge wird die Türkei noch am heutigen Montag die offizielle Bitte an die NATO richten, "Patriot"-Flugabwehrraketen weit im Südosten ihres Territoriums zu stationieren. Es gehe um Schutz gegen syrische Kampfflieger sowie Raketen, heißt es; die Bundesregierung stimme einer deutschen Beteiligung mit bis zu 170 Militärs zu. Tatsächlich beziehen sich die Stationierungspläne nicht nur auf Gebiete, in denen seit geraumer Zeit die Konflikte mit kurdischen Separatisten eskalieren. Sie schaffen zudem die Voraussetzungen für die Einrichtung von Flugverbotszonen in Syrien, für die in der letzten Woche Berichten zufolge ranghohe Militärs aus der Türkei und den USA dem Weißen Haus konkrete Pläne vorgelegt haben. Hintergrund ist die Absicht der kürzlich in Qatar neu gebildeten syrischen Exilführung, in wenigen Wochen ihr Exil zu verlassen und sich in Nordsyrien festzusetzen. Dazu benötigt sie Sicherheit vor Angriffen aus der Luft.
 
 
Gegen Raketen und Flugzeuge
 
 
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, steht ein Einsatz deutscher Soldaten unmittelbar an der syrischen Grenze bevor. Demnach wolle die Türkei noch am heutigen Montag eine offizielle Bitte an die NATO richten, Flugabwehrraketen vom Typ "Patriot" im Südosten ihres Hoheitsgebietes zu stationieren. Man wolle sich damit gegen Angriffe der syrischen Luftwaffe schützen, heißt es. Die Stationierung der "Patriot"-Batterien mache auch deutlich, dass Ankara sich auf die Unterstützung der NATO verlassen könne. In der Tat sei der zuständige NATO-Oberkommandierende bereit, der türkischen Bitte zu entsprechen. Auch die Bundesregierung habe bereits ihre Zustimmung deutlich gemacht; dies sei von Bedeutung, da nur Deutschland, die Niederlande und die USA über moderne Raketen vom Typ PAC-3 verfügen. Diese sind in der Lage, Flugzeuge und Raketen gleichermaßen zu bekämpfen. Wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, ist die Entsendung von ein bis zwei Patriot-Staffeln geplant; da zur Bedienung einer Staffel bis zu 85 Soldaten benötigt würden, stehe nun ein Kontingent von bis zu 170 deutschen Militärs zur Debatte. Weil es sich nur um eine Verlegung im Bündnisgebiet handele, müsse der Bundestag womöglich gar nicht darüber abstimmen.[1]
 
 
Stationierung im Konfliktgebiet
 
 
Die Stationierung von "Patriot"-Raketen im Südosten der Türkei ist aus mehreren Gründen von erheblicher Brisanz. Zum einen hat die PKK in den kurdischsprachigen Gebieten an der Grenze zu Syrien ihre separatistischen Aktivitäten im vergangenen Jahr deutlich ausgeweitet. Hintergrund ist, dass Damaskus die Kontrolle über die kurdischsprachigen Gebiete Syriens schon lange nicht mehr aufrechterhalten kann und dort inzwischen die PKK-nahe Partiya Yekitîya Demokrat (PYD, Partei der Demokratischen Union) dominiert. Im Juli hat die PYD die Kontrolle über mehrere kurdisch geprägte Ortschaften im Norden Syriens nahe der Grenze zur Türkei übernommen; seither wächst in Ankara die Befürchtung, die PKK könne ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten ausweiten und den kurdischen Separatismus unkontrollierbar eskalieren lassen. Entsprechend geht das türkische Militär wieder deutlich aggressiver gegen die PKK vor. Das Gebiet, in dem die "Patriot"-Raketen mutmaßlich stationiert werden, ist zumindest teilweise mit dem Konfliktgebiet identisch.
 
 
 
Flugverbotszonen
 
 
Darüber hinaus überwachen die "Patriot"-Radaranlagen, werden sie tatsächlich an der türkisch-syrischen Grenze stationiert, diverse Gebiete in Syrien, in denen die Aufständischen die Kontrolle übernommen haben. Erfasst würden dann syrische Hubschrauber und Kampfflieger, die gegen die Aufständischen in diesen Gebieten vorgehen; die "Patriot"-Stationierung trüge damit maßgeblich dazu bei, die Voraussetzungen für die Einrichtung von Flugverbotszonen zu schaffen, wie sie von einflussreichen Kräften im Westen und syrischen Rebellen schon seit langer Zeit gefordert werden. Türkische Medien berichteten letzte Woche, ranghohe Militärs aus Ankara und Washington hätten sich nun auf einen entsprechenden Plan geeinigt, der nicht zuletzt die Stationierung von "Patriot"-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze vorsehe; das Papier liege mittlerweile Präsident Obama zur Zustimmung vor. Die Reichweite der "Patriots" beläuft sich auf mehrere Dutzend Kilometer - genug, um Kampfhandlungen der syrischen Luftwaffe in einem großen Gebiet entlang der Grenze zu unterbinden.
 
 
Die neue Exilführung
 
 
Die aktuelle Bedeutung der Pläne für Flugverbotszonen ergibt sich aus den jüngsten Verhandlungen über die Bildung einer syrischen Exilregierung in Qatar. Unter erheblichem Druck des Westens hat sich dort vor wenigen Tagen eine neue Führung gebildet, die den bislang vom Westen protegierten, von der Muslimbruderschaft dominierten Syrian National Council (SNC) einbezieht, ihn aber einer neuen Leitung unterstellt - er hatte sich zuvor als weitgehend handlungsunfähig erwiesen. Führende Kraft bei den Verhandlungen in Qatar war laut Berichten [2] der syrische Oppositionelle Riad Seif, der bereits seit den 1990er Jahren Kontakte zum außenpolitischen Establishment in Berlin hält und im Juni in die deutsche Hauptstadt übergesiedelt ist. Seif ist in die Aktivitäten einer multinationalen "Arbeitsgruppe" zur Umgestaltung der syrischen Wirtschaft involviert, die von einem Büro im Auswärtigen Amt aus gesteuert wird - von einem Deutschen (german-foreign-policy.com berichtete [3]). In Qatar ist unter Seifs Mitwirkung Moaz al Khatib zum Vorsitzenden der neuen "Nationalen Koalition der syrischen Revolutionäre und der oppositionellen Kräfte" ernannt worden, ein früherer Prediger an der bedeutenden Umayyaden-Moschee in Damaskus, der in deutschen Medien meist als gemäßigter Angehöriger einer der angesehensten Damaszener Traditionsfamilien beschrieben wird. Kritiker weisen darauf hin, dass Al Khatib öffentlich Sympathie für den Prediger Yusuf al Qaradawi bekundet, einen in Qatar ansässigen Muslimbruder, der als einer der einflussreichsten Islamisten der Gegenwart gilt.[4] Zudem habe er sich verächtlich über Juden und Schiiten geäußert.[5]
 
Umzugspläne
 
Al Khatibs Exilführung plant, in wenigen Wochen ihr Exil zu verlassen und sich im Norden Syriens zu etablieren.[6] Dort kontrollieren die Aufständischen inzwischen große Gebiete und die Mehrzahl der Grenzübergänge in die Türkei, womit die Versorgung der Rebellenregionen als gesichert gelten kann. Gefährdet werden die Umzugspläne der Exilführung nur noch durch die syrische Luftwaffe, deren Angriffe die Aufständischen bislang nicht verhindern können. Flugverbotszonen würden dies ermöglichen. Sie schüfen damit die Voraussetzungen, eine syrische Rebellenregierung im Lande zu installieren und den Aufstand weiter voranzutreiben. Mit deutschen "Patriot"-Batterien nähme auch die Bundeswehr aktiv daran teil.
 
[1] Bundeswehr soll in die Türkei; www.sueddeutsche.de 17.11.2012
[2] Eine neue Koalition gegen Assad; Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2012
[3] s. dazu The Day After (III)
[4] s. dazu Die kommenden Kräfte
[5] Islamist-In-Chief; www.foreignpolicy.com 14.11.2012
[6] Eine neue Koalition gegen Assad; Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2012
 
Quelle:www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58467

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