Donnerstag, 22. November 2012

Der nächste Kongo-Krieg

Der nächste Kongo-Krieg
22.11.2012
KINSHASA/KIGALI/BERLIN 
(Eigener Bericht) - Angesichts des Vormarsches einer neuen Miliz im Osten der Demokratischen Republik Kongo fordert der deutsche Außenminister die Einstellung der Kämpfe und "einen politischen Prozess" zur Lösung des Konflikts. Im Ostkongo hat eine Miliz mit dem Namen "M23" die Provinzhauptstadt Goma eingenommen, marschiert nun auf eine zweite Provinzhauptstadt zu und kündigt an, die kongolesische Regierung stürzen zu wollen. Sie wird von Ruanda unterstützt, einem engen Verbündeten der Berliner Außenpolitik. Schon mehrfach haben in den vergangenen Jahren von Ruanda unterstützte Milizen mehr oder weniger große Teile des östlichen Kongo unter ihre Kontrolle gebracht - und ihren Einfluss genutzt, um die überaus reichen Rohstoffvorräte des Landes zugunsten des rohstoffarmen Ruanda zu plündern. Parallel rivalisieren seit geraumer Zeit Berlin und Paris um die Vormacht in dem Gebiet. Während Paris auch weiterhin auf die Frankophonie und die Demokratische Republik Kongo setzt, steht Berlin auf Ruandas Seite - eine Konstellation, die bereits die beiden EU-Militäreinsätze im Kongo prägte. Gelingt es "M23", tatsächlich die Regierung zu stürzen, dann übernähme faktisch Ruanda und damit ein Verbündeter Berlins die Macht im frankophonen Kinshasa.
M23
Nach einem erneuten Aufflammen bewaffneter Kämpfe im Ostkongo kündigen dortige Rebellen den Sturz der Regierung in Kinshasa an. Die Miliz "M23" ("Mouvement du 23 Mars"), die bereits seit Monaten in der Region marodiert, hat in den vergangenen Tagen erhebliche Teile der Provinz Nord-Kivu erobert, zuletzt die Provinzhauptstadt Goma; mittlerweile rückt sie auf Bukavu vor, die Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu. Am gestrigen Mittwoch hat sie angekündigt, ihren Vormarsch in den Westen des Kongo fortsetzen und Kinshasa erobern zu wollen, um dort Staatspräsident Joseph Kabila zu stürzen. Offene Unruhen brechen aus; sie richten sich unter anderem gegen die Truppen, die im Auftrag der Vereinten Nationen im Ostkongo stationiert sind (Monusco), um einen erneuten Krieg in dem Gebiet zu verhindern, aber nichts gegen M23 unternehmen. Die Miliz wird laut einer Vielzahl von Quellen, darunter etwa die Vereinten Nationen sowie Menschenrechtsorganisationen, von Ruanda unterstützt. Die Konstellation entspricht damit derjenigen, die die Kriege im Kongo schon seit 1996 prägt. Ihnen fielen Hilfsorganisationen zufolge weit mehr als sechs Millionen Menschen zum Opfer - viele davon in den östlichen Provinzen des Landes.
Blut-Coltan
Hintergrund der seit mehr als 15 Jahren wiederkehrenden Kämpfe im Ostkongo ist die Tatsache, dass besonders die zwei Kivu-Provinzen und das nördlich angrenzende Ituri außerordentlich reich an Rohstoffen sind. In dem Gebiet liegen große Vorräte unter anderem an Gold, Zinn, Wolfram und vor allem Coltan, das erhebliche Bekanntheit erlangt hat, seit Menschenrechtsorganisationen darauf hingewiesen haben, dass der in jedem Mobiltelefon zu findende Stoff an seinen Lagerstätten im Ostkongo immer wieder Gegenstand kriegerischer Auseinandersetzungen ist ("Blut-Coltan"). Um Zugriff auf die Rohstoffe bemüht sich insbesondere das im Osten an den Kongo grenzende Ruanda, das selbst kaum Ressourcen besitzt, es zeitweise jedoch beispielsweise schaffte, innerhalb nur eines Jahres größere Mengen an Coltan zu verkaufen, als Experten insgesamt unter seinem Hoheitsgebiet vermuten. Aktivitäten dieser Art entfaltete Ruanda ab 1996, als es erstmals in den Osten des Kongo einmarschierte.
Milizen
Dies geschah damals aus mehreren Gründen: Zum einen suchte Kigali geflohene Völkermörder des Genozids von 1994 an einer militärischen Neuformierung zu hindern. Zudem halfen seine Truppen in Absprache mit US-amerikanischen und bundesdeutschen Stellen, nach einem Marsch durch den gesamten Kongo in Kinshasa den dem Westen lästig gewordenen Staatschef Mobutu Sese Seko zu stürzen. Gleichsam als Nebenprodukt ergab sich der Zugriff auf die ostkongolesischen Ressourcen, die für das rohstoffarme Ruanda eine äußerst willkommene Einnahmequelle wurden. Von 1998 bis 2003 unterstanden größere Teile des Ostkongo Kräften wie dem "RCD Goma", die als Stellvertreter der Regierung in Kigali operierten und ihr die Ausplünderung der ostkongolesischen Bodenschätze garantierten. Seit 2004 treten vor allem in Nord-Kivu immer wieder Milizen auf, die angeben, sich gegen bis heute im Ostkongo lebende Genozid-Täter zur Wehr setzen zu müssen, gleichzeitig aber im großen Stil Rohstoff-Schmuggel nach Ruanda betreiben - und mittlerweile zudem wegen vieler Gräueltaten berüchtigt sind. Einer ihrer Chefs war Laurent Nkunda, ein langjähriger Kampfgefährte des heutigen Staatspräsidenten Ruandas, Paul Kagame (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Nkundas Miliz entstammt der heutige Chef des M23, Bosco Ntaganda, der ebenfalls zu Beginn der 1990er Jahre an Kagames Seite kämpfte und inzwischen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht wird.
Stellvertreter
Die brutalen Kämpfe im Ostkongo sind seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eng mit westlichen Interessen und mit westlicher Einflusspolitik verflochten. Die Demokratische Republik Kongo ist Teil der Frankophonie und damit einer derjenigen afrikanischen Staaten, auf die Paris maßgeblich Einfluss ausüben möchte. Ruanda orientiert sich seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre besonders an den USA und der Bundesrepublik, was sich etwa an seinem Beitritt zur East African Community (EAC) und - symbolhaft - an der für ein französischsprachiges Land ungewöhnlichen Einführung von Englisch als Amtssprache zeigt (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Ruanda erhält vom Westen, auch von der Bundesrepublik, große Pro-Kopf-Beträge an Entwicklungshilfe. Es wird auch darüber hinaus politisch unterstützt; Ende der 1990er Jahre gab es zeitweise sogar die Überlegung - auch in Deutschland -, Ruanda Teile des Ostkongo zuzuschlagen. Kigali zeigt sich erkenntlich und stellt Soldaten für die UN-Einsätze im Sudan sowie im Süd-Sudan, welche die von Washington und Berlin forcierte Abspaltung des Süd-Sudan begleiten. 3.200 Soldaten der Rwanda Defence Forces (RDF) sind gegenwärtig in Darfur stationiert (UNAMID), 850 im Süd-Sudan (UNMISS). Kigali erfüllt damit eine Aufgabe als militärischer Stellvertreter vor allem deutscher und amerikanischer Interessen, wie sie etwa auch Äthiopien wahrnimmt (german-foreign-policy.com berichtete [3]).
Deutsch-französische Machtkämpfe
Dabei stehen sich Deutschland und die USA auf der einen sowie Frankreich auf der anderen Seite gegenüber. Deutlich zeigen dies die beiden Kongo-Einsätze der EU und ein dritter Einsatzwunsch der Pariser Regierung, den Berlin verhinderte. Der EU-Einsatz 2003 in der Region Ituri drehte sich offiziell darum, mörderische Kämpfe zwischen den Ethnien der Hema und der Lendu zu befrieden. Tatsächlich jedoch sei es im Kern "um Gold" gegangen und "um das Bestreben der Nachbarländer, sich die Vorkommen anzueignen", resümierte im März ein exzellenter Kenner der Region. Die eine Seite, die Milizen der Hema, seien damals von zwei Männern kommandiert worden, die mit Kigali kooperiert hätten: Thomas Lubanga und Bosco Ntaganda. Lubanga ist im Juli vom Internationalen Strafgerichtshof verurteilt worden, Ntaganda wird noch gesucht - und befehligt die Miliz M23. Die EU-Truppe stand 2003 unter der Führung Frankreichs, das die Intervention durchgesetzt hatte; sie habe, heißt es, Lubanga, den Parteigänger Ruandas, erfolgreich in die Schranken gewiesen.[4] Der Einsatz wurde auf Wunsch Berlins - ganz im Unterschied zu den übrigen deutschen Interventionen, die gewöhnlich sehr lange andauern - genauso rasch beendet wie der zweite, auf Pariser Drängen gestartete Kongo-Einsatz 2006, von dem übrigens auf Verlangen Berlins eine Region ausdrücklich ausgenommen wurde - die ostkongolesischen Kivu-Provinzen, in denen mit Ruanda kooperierende Milizen, im Unterschied zu 2003 von EU-Truppen ungestört, marodierten.[5] Einen dritten Einsatz der EU, den Paris im Herbst 2008 forderte, um sein Einflussgebiet im Kongo gegen das Vordringen proruandischer und damit auf deutsch-US-amerikanischer Seite stehender Milizen im Ostkongo zu stoppen, ließ die Bundesregierung nicht mehr zu (german-foreign-policy.com berichtete [6]).
Durchgestochen
Mit dem Vormarsch von M23 sind die alten Fronten erneut in Bewegung geraten - und mit ihnen auch die innerwestlichen Machtkämpfe. Ein Bericht der Vereinten Nationen, der die Unterstützung Ruandas für M23 belegt, wurde zunächst von den Vereinigten Staaten blockiert [7], dann jedoch an die Medien durchgestochen; so mancher vermutete Frankreich am Werk. Nach Bekanntwerden der Aktivitäten Kigalis sahen sich unter anderem Berlin und Washington gezwungen, ihre Hilfe für die dortige Regierung zu verringern.[8] In den letzten Tagen hat vor allem Paris versucht, die Truppen der UNO zu einem entschlosseneren Vorgehen gegen M23 zu drängen; zuletzt konnte es im UN-Sicherheitsrat einen Beschluss durchsetzen, der das Vorgehen der Miliz verurteilt und Sanktionen androht. Der Berliner Außenminister hält sich zurück und verlangt lediglich die Einstellung der Kämpfe; die Regierung in Kinshasa müsse einen "politischen Prozess" zur Lösung des Konfliktes einleiten. Einmal mehr schlummern unter der Oberfläche der europäischen Afrika-Politik deutsch-französische Konflikte um die Vormacht über Teile des ressourcenreichen Kontinents.
[1] s. dazu Schwerpunktpartner, Im Kriegsgebiet und Kriegspartei
[2] s. dazu Vorposten und Die Macht der Finanziers
[3] s. dazu Die Ruhe des Dampfdrucktopfs
[4] Der Herr über die mordenden Kinder; www.faz.net 14.03.2012
[5] s. dazu Sie stehen bereit
[6] s. dazu Vorposten
[7] UN report on Rwanda fuelling Congo conflict 'blocked by US'; www.guardian.co.uk 20.06.2012
[8] Es wird einsam um Paul Kagame; www.faz.net 30.07.2012
Quelle:  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58470

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