Der nächste Kongo-Krieg
M23
Nach einem erneuten Aufflammen bewaffneter Kämpfe im
Ostkongo kündigen dortige Rebellen den Sturz der Regierung in Kinshasa
an. Die Miliz "M23" ("Mouvement du 23 Mars"), die bereits seit Monaten
in der Region marodiert, hat in den vergangenen Tagen erhebliche Teile
der Provinz Nord-Kivu erobert, zuletzt die Provinzhauptstadt Goma;
mittlerweile rückt sie auf Bukavu vor, die Hauptstadt der Provinz
Süd-Kivu. Am gestrigen Mittwoch hat sie angekündigt, ihren Vormarsch in
den Westen des Kongo fortsetzen und Kinshasa erobern zu wollen, um dort
Staatspräsident Joseph Kabila zu stürzen. Offene Unruhen brechen aus;
sie richten sich unter anderem gegen die Truppen, die im Auftrag der
Vereinten Nationen im Ostkongo stationiert sind (Monusco), um einen
erneuten Krieg in dem Gebiet zu verhindern, aber nichts gegen M23
unternehmen. Die Miliz wird laut einer Vielzahl von Quellen, darunter
etwa die Vereinten Nationen sowie Menschenrechtsorganisationen, von
Ruanda unterstützt. Die Konstellation entspricht damit derjenigen, die
die Kriege im Kongo schon seit 1996 prägt. Ihnen fielen
Hilfsorganisationen zufolge weit mehr als sechs Millionen Menschen zum
Opfer - viele davon in den östlichen Provinzen des Landes.
Blut-Coltan
Hintergrund der seit mehr als 15 Jahren
wiederkehrenden Kämpfe im Ostkongo ist die Tatsache, dass besonders die
zwei Kivu-Provinzen und das nördlich angrenzende Ituri außerordentlich
reich an Rohstoffen sind. In dem Gebiet liegen große Vorräte unter
anderem an Gold, Zinn, Wolfram und vor allem Coltan, das erhebliche
Bekanntheit erlangt hat, seit Menschenrechtsorganisationen darauf
hingewiesen haben, dass der in jedem Mobiltelefon zu findende Stoff an
seinen Lagerstätten im Ostkongo immer wieder Gegenstand kriegerischer
Auseinandersetzungen ist ("Blut-Coltan"). Um Zugriff auf die Rohstoffe
bemüht sich insbesondere das im Osten an den Kongo grenzende Ruanda, das
selbst kaum Ressourcen besitzt, es zeitweise jedoch beispielsweise
schaffte, innerhalb nur eines Jahres größere Mengen an Coltan zu
verkaufen, als Experten insgesamt unter seinem Hoheitsgebiet vermuten.
Aktivitäten dieser Art entfaltete Ruanda ab 1996, als es erstmals in den
Osten des Kongo einmarschierte.
Milizen
Dies geschah damals aus mehreren Gründen: Zum einen
suchte Kigali geflohene Völkermörder des Genozids von 1994 an einer
militärischen Neuformierung zu hindern. Zudem halfen seine Truppen in
Absprache mit US-amerikanischen und bundesdeutschen Stellen, nach einem
Marsch durch den gesamten Kongo in Kinshasa den dem Westen lästig
gewordenen Staatschef Mobutu Sese Seko zu stürzen. Gleichsam als
Nebenprodukt ergab sich der Zugriff auf die ostkongolesischen
Ressourcen, die für das rohstoffarme Ruanda eine äußerst willkommene
Einnahmequelle wurden. Von 1998 bis 2003 unterstanden größere Teile des
Ostkongo Kräften wie dem "RCD Goma", die als Stellvertreter der
Regierung in Kigali operierten und ihr die Ausplünderung der
ostkongolesischen Bodenschätze garantierten. Seit 2004 treten vor allem
in Nord-Kivu immer wieder Milizen auf, die angeben, sich gegen bis heute
im Ostkongo lebende Genozid-Täter zur Wehr setzen zu müssen,
gleichzeitig aber im großen Stil Rohstoff-Schmuggel nach Ruanda
betreiben - und mittlerweile zudem wegen vieler Gräueltaten berüchtigt
sind. Einer ihrer Chefs war Laurent Nkunda, ein langjähriger
Kampfgefährte des heutigen Staatspräsidenten Ruandas, Paul Kagame
(german-foreign-policy.com berichtete [1]). Nkundas Miliz entstammt der
heutige Chef des M23, Bosco Ntaganda, der ebenfalls zu Beginn der 1990er
Jahre an Kagames Seite kämpfte und inzwischen vom Internationalen
Strafgerichtshof in Den Haag gesucht wird.
Stellvertreter
Die brutalen Kämpfe im Ostkongo sind seit der zweiten
Hälfte der 1990er Jahre eng mit westlichen Interessen und mit westlicher
Einflusspolitik verflochten. Die Demokratische Republik Kongo ist Teil
der Frankophonie und damit einer derjenigen afrikanischen Staaten, auf
die Paris maßgeblich Einfluss ausüben möchte. Ruanda orientiert sich
seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre besonders an den USA und der
Bundesrepublik, was sich etwa an seinem Beitritt zur East African
Community (EAC) und - symbolhaft - an der für ein französischsprachiges
Land ungewöhnlichen Einführung von Englisch als Amtssprache zeigt
(german-foreign-policy.com berichtete [2]). Ruanda erhält vom Westen,
auch von der Bundesrepublik, große Pro-Kopf-Beträge an
Entwicklungshilfe. Es wird auch darüber hinaus politisch unterstützt;
Ende der 1990er Jahre gab es zeitweise sogar die Überlegung - auch in
Deutschland -, Ruanda Teile des Ostkongo zuzuschlagen. Kigali zeigt sich
erkenntlich und stellt Soldaten für die UN-Einsätze im Sudan sowie im
Süd-Sudan, welche die von Washington und Berlin forcierte Abspaltung des
Süd-Sudan begleiten. 3.200 Soldaten der Rwanda Defence Forces (RDF)
sind gegenwärtig in Darfur stationiert (UNAMID), 850 im Süd-Sudan
(UNMISS). Kigali erfüllt damit eine Aufgabe als militärischer
Stellvertreter vor allem deutscher und amerikanischer Interessen, wie
sie etwa auch Äthiopien wahrnimmt (german-foreign-policy.com berichtete
[3]).
Deutsch-französische Machtkämpfe
Dabei stehen sich Deutschland und die USA auf der
einen sowie Frankreich auf der anderen Seite gegenüber. Deutlich zeigen
dies die beiden Kongo-Einsätze der EU und ein dritter Einsatzwunsch der
Pariser Regierung, den Berlin verhinderte. Der EU-Einsatz 2003 in der
Region Ituri drehte sich offiziell darum, mörderische Kämpfe zwischen
den Ethnien der Hema und der Lendu zu befrieden. Tatsächlich jedoch sei
es im Kern "um Gold" gegangen und "um das Bestreben der Nachbarländer,
sich die Vorkommen anzueignen", resümierte im März ein exzellenter
Kenner der Region. Die eine Seite, die Milizen der Hema, seien damals
von zwei Männern kommandiert worden, die mit Kigali kooperiert hätten:
Thomas Lubanga und Bosco Ntaganda. Lubanga ist im Juli vom
Internationalen Strafgerichtshof verurteilt worden, Ntaganda wird noch
gesucht - und befehligt die Miliz M23. Die EU-Truppe stand 2003 unter
der Führung Frankreichs, das die Intervention durchgesetzt hatte; sie
habe, heißt es, Lubanga, den Parteigänger Ruandas, erfolgreich in die
Schranken gewiesen.[4] Der Einsatz wurde auf Wunsch Berlins - ganz im
Unterschied zu den übrigen deutschen Interventionen, die gewöhnlich sehr
lange andauern - genauso rasch beendet wie der zweite, auf Pariser
Drängen gestartete Kongo-Einsatz 2006, von dem übrigens auf Verlangen
Berlins eine Region ausdrücklich ausgenommen wurde - die
ostkongolesischen Kivu-Provinzen, in denen mit Ruanda kooperierende
Milizen, im Unterschied zu 2003 von EU-Truppen ungestört,
marodierten.[5] Einen dritten Einsatz der EU, den Paris im Herbst 2008
forderte, um sein Einflussgebiet im Kongo gegen das Vordringen
proruandischer und damit auf deutsch-US-amerikanischer Seite stehender
Milizen im Ostkongo zu stoppen, ließ die Bundesregierung nicht mehr zu
(german-foreign-policy.com berichtete [6]).
Durchgestochen
Mit dem Vormarsch von M23 sind die alten Fronten
erneut in Bewegung geraten - und mit ihnen auch die innerwestlichen
Machtkämpfe. Ein Bericht der Vereinten Nationen, der die Unterstützung
Ruandas für M23 belegt, wurde zunächst von den Vereinigten Staaten
blockiert [7], dann jedoch an die Medien durchgestochen; so mancher
vermutete Frankreich am Werk. Nach Bekanntwerden der Aktivitäten Kigalis
sahen sich unter anderem Berlin und Washington gezwungen, ihre Hilfe
für die dortige Regierung zu verringern.[8] In den letzten Tagen hat vor
allem Paris versucht, die Truppen der UNO zu einem entschlosseneren
Vorgehen gegen M23 zu drängen; zuletzt konnte es im UN-Sicherheitsrat
einen Beschluss durchsetzen, der das Vorgehen der Miliz verurteilt und
Sanktionen androht. Der Berliner Außenminister hält sich zurück und
verlangt lediglich die Einstellung der Kämpfe; die Regierung in Kinshasa
müsse einen "politischen Prozess" zur Lösung des Konfliktes einleiten.
Einmal mehr schlummern unter der Oberfläche der europäischen
Afrika-Politik deutsch-französische Konflikte um die Vormacht über Teile
des ressourcenreichen Kontinents.
[1] s. dazu Schwerpunktpartner, Im Kriegsgebiet und Kriegspartei
[2] s. dazu Vorposten und Die Macht der Finanziers
[3] s. dazu Die Ruhe des Dampfdrucktopfs
[4] Der Herr über die mordenden Kinder; www.faz.net 14.03.2012
[5] s. dazu Sie stehen bereit
[6] s. dazu Vorposten
[7] UN report on Rwanda fuelling Congo conflict 'blocked by US'; www.guardian.co.uk 20.06.2012
[8] Es wird einsam um Paul Kagame; www.faz.net 30.07.2012
[2] s. dazu Vorposten und Die Macht der Finanziers
[3] s. dazu Die Ruhe des Dampfdrucktopfs
[4] Der Herr über die mordenden Kinder; www.faz.net 14.03.2012
[5] s. dazu Sie stehen bereit
[6] s. dazu Vorposten
[7] UN report on Rwanda fuelling Congo conflict 'blocked by US'; www.guardian.co.uk 20.06.2012
[8] Es wird einsam um Paul Kagame; www.faz.net 30.07.2012
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58470
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