Mittwoch, 28. November 2012

Ein zweifelhaftes Lob

Ein zweifelhaftes Lob

 

Deutsche Medien auf der Seite Israels – und fern von der Wahrheit -

 
Ein Kommentar von CATRIN HILGENDORF, 23. November 2012 -

Seit gestern schweigen die Waffen. Israel und die Hamas gehen vermutlich für eine Weile – bis zur nächsten blutigen Eskalation – wieder zur Tagesordnung des Kalten Krieges über. An dem beteiligen sich Deutschlands Medienvertreter mit zusehends blinder Parteinahme für Israels ultrarechte Regierung. Von ihrem gesellschaftlichen Auftrag, trotz Merkels „Solidarität mit Israel!“-Mantren, über den Nahost-Konflikt wahrheitsgemäße Informationen zu verbreiten und Aufklärung zu leisten, hat sich der Mainstream mittlerweile entfernt.   

„Die Hamas terrorisiert den Süden Israels mit Raketen, Israels Luftwaffe antwortet mit Angriffen auf den Gazastreifen“, schrieb Christian Böhme vergangene Woche im Tagesspiegel unter dem Titel „Die Hamas hat eine rote Linie überschritten“. Solche ebenso falsche wie manichäische Darstellungen finden sich dutzendfach im deutschen „Medien-Dschungel“, der längst zur Meinungsmonokultur verdorrt ist. Da wird die israelische Militäroffensive „Pillar of Defense“ als „Antiterror-Krieg“ gefeiert und erklärt, warum das Opfer der palästinensischen Aggression, Israel, keine andere Wahl hat, als konsequent „zurückzuschießen“.

GazaDas Magazin Focus und die Süddeutsche lassen den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, in epischer Breite erklären, dass die Hamas nichts anderes als die „Terrorfiliale Teherans“ sei und ihn von der deutschen Regierung den Abbruch der diplomatischen Beziehung zum Iran fordern. Vertreter von muslimischen Glaubensgemeinschaften, palästinensische oder andere Stimmen aus der arabischen Welt hingegen kommen kaum oder gar nicht zu Wort.

Die Welt versuchte offenbar, mit Überschriften wie „Die gefälschten Propaganda-Bilder der Hamas“ das factum brutum der hohen Opferzahlen unter palästinensischen Zivilisten zu verschleiern. An der von der schwarz-gelben Regierung permanent wiederholten Lüge, ausschließlich die Hamas und andere bewaffnete Palästinenser-Organisationen betrieben die Fortsetzung der Politik mit terroristischen Mitteln und verstießen gegen das Humanitäre Völkerrecht – während Israel sich stets auf mit chirurgischer Präzision durchgeführte unvermeidbare „Verteidigungsmaßnahmen“ beschränke –, wird von deutschen Medien unermüdlich perpetuiert.

„Ganz Gaza einebnen“

Während in den Bildern, die deutsche Medien von der Hamas und anderen militanten Palästinenser-Organisationen zeichnen, kaum mehr menschliche Züge auszumachen sind und kritische Analysen (beispielsweise zu der Frage, warum  einst unbedeutende islamistische Organisationen jahrelang von Israel unterstützt wurden) sukzessive durch eine irrationale Metaphysik des Bösen ersetzt werden, wird der dramatische Rechtsruck und der längst schon nicht mehr schleichende Entdemokratisierungsprozess in der politischen Kultur Israels hierzulande totgeschwiegen. Dass israelische Regierungspolitiker, Knesset-Abgeordnete und Publizisten die Bevölkerung und die Israel Defense Forces (IDF) mit faschistoiden Hassparolen aufgehetzt haben, erfahren die Leser nicht. Jedenfalls nicht durch den Mainstream der Presselandschaft. Auch nicht, wenn der furor israelicus eliminatorische Auswüchse erreicht: „Wir haben keine andere Wahl. Israel muss Gaza neu formatieren“, sagte Heimatfront-Verteidigungsminister Avi Dichter vor einigen Tagen. (1) „Wir müssen ganze Stadtteile von Gaza einebnen. Ganz Gaza einebnen”, findet Gilad Sharon, Yedioth Ahronoth-Kolumnist und Sohn des ehemaligen israelischen Premiers Ariel Sharon. „Die Amerikaner haben nicht mit Hiroshima haltgemacht – die Japaner haben nicht schnell genug kapituliert –, also haben sie auch Nagasaki angegriffen.” (2) Der Abgeordnete der Nationalen Einheitspartei Michael Ben-Ari, der gestern wütend gegen die Zustimmung der israelischen Regierung zu der Waffenruhe mit der Hamas protestierte, (3) ist der Meinung: „Es gibt keine Unschuldigen in Gaza“ und fordert die Armee auf: „Mäht sie nieder!“ (4)

Von der überwältigen Mehrheit der deutschen Journalisten werden diese Vernichtungsfantasien – obwohl der israelische Militärapparat die Potentiale hat, sie jederzeit Realität werden zu lassen – nicht nur nicht kritisch reflektiert. Einige beteiligen sich sogar offensiv an der Kriegspropaganda. So stieg vergangenen Sonntag der Nahost-Korrespondent Ulrich W. Sahm (er arbeitet für n-tv, den Weser-Kurier, die Hannoversche Allgemeine u.a.) in Berlin bei der Kundgebung „Solidarität mit Israel! Free Gaza From Hamas!“ von Honestly Concerned und anderen Gruppierungen aus dem Lager der bürgerlichen Rechten aufs Podium und trommelte für die israelische Militäroperation: „Ich komme notgedrungen zu dem Schluss, dass die Hamas Israel derart provoziert, um die Offensive zu erzwingen“, lautet Sahms krude Erklärung für die jüngste gewaltsame Zuspitzung des  Dauerkonflikts. Für alle, die noch nicht so recht überzeugt sein wollten, verwandelte Sahm die Mehrheit der jüdischen Israelis mal eben schnell in „die Juden“ und kam mit einem Totschlagargument: „Die Juden haben ihre Lehre aus Auschwitz gezogen, sich wegen romantischer Vorstellungen über Verhältnismäßigkeit, Völkerrecht oder auch Menschenrechte nicht mehr abschlachten zu lassen, zumal diese internationalen Konventionen in der Regel für Juden oder heute für Israel offenbar keine Gültigkeit haben“, zog Sahm alle Register, die die bellizistischen Rechten in Deutschland seit dem Angriff auf Jugoslawien ziehen, wenn es darum geht, die westliche Kriegsmaschinerie auf Hochtouren zu bringen. (5)

Unbequeme Wahrheiten


Viel Propaganda – aber kaum ein Wort darüber, dass der Konflikt durch das gelungene Attentat der israelischen Armee auf Ahmed al-Dschabari, den Kommandeur der Ezedin al-Qassam-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas, eskaliert ist. Deutsche Medien haben (bis auf wenige Ausnahmen) wichtige Fakten unterschlagen. Beispielsweise die öffentlich zugänglichen Aussagen von Gershon Baskin, der einen Entwurf zur Vereinbarung einer nachhaltigen Waffenruhe zwischen Israel und den Palästinensern auf dem Gaza-Streifen vorgelegt hatte. Der Gründer des Israel Palestine Center for Research and Information, der 2011 die Freilassung des israelischen Soldarten Gilad Shalit erwirkt hatte, hat eindringlich erklärt, dass die Hamas durch die gezielte Tötung  von Ahmed al-Dschabari nicht nur ihren Militärchef verloren hat. Mit al-Dschabari wurde vor allem die Schlüsselfigur ausgeschaltet, die diesen wichtigen Fortschritt eines zumindest vorläufigen beiderseitigen Gewaltverzichts ermöglicht hätte. Wenn al-Dschabari „überzeugt war, dass Israel ebenfalls bereit war, sich zurückzuhalten, war er seinerseits immer bereit, den Auftrag anzunehmen, allen anderen Gruppen und der Hamas den Waffenstillstand aufzuzwingen“, meint Gershon Baskin. (6) Aber dazu kam es nicht mehr. Kurz bevor al-Dschabari die Vereinbarung unterzeichnet hätte, schlugen die Israelis zu.

„Der Mord war ein Präventivschlag gegen die Möglichkeit eines lange anhaltenden Waffenstillstandes“, sagt Baskin und nennt mögliche Motive: „Mir scheint, dass einige der Befehlshaber der israelischen Armee von den vorhergegangenen Vereinbarungen, zur Ruhe zurückzukehren, frustriert waren, weil dabei die Hamas den Ton angab und Israel in der schwächeren Position war“, vermutet Baskin. „Sie riefen dazu auf, die Abschreckungskraft Israels wiederaufzubauen. Sie dachten: Die Menschen in Gaza sollen den Schmerz eines ernsthaften israelischen Angriffs zu fühlen bekommen, und dann werden sie es sich siebenmal überlegen, ehe sie weitere Raketen abschicken!“ Auf die Frage, was Benjamin Netanjahu angetrieben haben mag, hat Baskin nur eine „zynische Antwort“, die auch in der israelischen Tageszeitung Haaretz zu lesen war: Die Knesset-Wahlen am 22. Januar. Auch die Operation „Cast Lead“ 2008/2009 sei unmittelbar vor den Wahlen durchgeführt worden. Netanjahu wollte in der seit dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses für Rechtspopulismus sehr empfänglichen israelischen Öffentlichkeit den starken Mann markieren und wieder einmal militärische Gewalt als Trumpfkarte ausspielen.

Den Mut zu unbequemen Wahrheiten und zu Kontroversen, den israelische Journalisten in einem von Hass und Gewalt durchwirkten gesellschaftlichen Klima aufbringen – kaum eine Spur davon in Deutschland. Hier müssen die wenigen  couragierten Medienvertreter, die noch auszumachen sind, mindestens die Tobsuchtsanfälle von neokonservativen Rumpelstilzchen wie Henryk M. Broder, immer häufiger auch Rufmordkampagnen und Karriereknicks aushalten.

Auch Die Linke zur Staatsräson gebracht


Dass die politische Opposition in Deutschland abweichende Meinungen verteidigt, dürfen kritische Journalisten nicht mehr erwarten: Wenn’s um Israel geht, legt längst auch die parlamentarische Linke ihre Hand lieber an die Hosennaht als für die Durchsetzung eines gerechten Friedens im Nahen Osten ins Feuer.

Nachdem der damalige Parteichef Gregor Gysi in seiner programmatischen Rede vom 14. April 2008 seine Linke feierlich zur deutschen Staatsräson der „Israelsolidarität“ gebracht und den Abschied vom Antiimperialismus verkündet hat, geht sogar der linke Flügel bestenfalls auf Äquidistanz zu der israelischen und palästinischen Konfliktpartei. Der rechte Flügel in der Jugendorganisation stellte indes vor einigen Tagen in seiner Solidaritätserklärung mit Israel unwidersprochen die abenteuerliche Behauptung auf: In Gaza gibt es „nur untereinander konkurrierende Terrororganisationen von Hamas bis Islamischer Djihad“, so der Bundesarbeitskreis Shalom der Linksjugend, der in einem Standpunktpapier unter dem Titel Universelle Emanzipation statt Krieg gegen Israel behauptete, die dort lebenden Palästinenser würden „sich vor dem Menschsein und besonders vor der eigenen Verantwortung fürchten“. (7)

Kein Wunder, dass dieser vor rassistischen Ressentiments strotzende Text über die Gaza-Bewohner, der mit dem Aufruf, Israel beizustehen, endet, keine Kritik aus den eigenen Reihen hervorruft: Die Linke ist die einzige Partei in Deutschland, die sich die Blöße gegeben hat, eine Antisemitismusdefinition exakt nach den Vorgaben neokonservativer Pressure-Groups vorzunehmen: Nicht mehr Hass und Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden werden als zentrale Merkmale des Antisemitismus definiert, sondern der gewaltfreie Widerstand gegen die israelische Besatzungs- und Blockadepolitik. Am 7. Juni 2011 hatte die Linke-Bundestagsfraktion – einstimmig! – eine Erklärung verabschiedet, der gemäß Antisemit ist, wer die Forderung einer Ein-Staat-Lösung für den Nahost-Konflikt und/oder Aufrufe zum Boykott israelischer Produkte unterstützt und/oder sich an der Free-Gaza-Flotte beteiligt. (8)

„Gysi versenkt Gaza-Flottille“, hatte  damals die taz treffend getitelt. Parteilinke wie Christine Buchholz hätten keine Einwände erhoben, berichtete die Tageszeitung weiter: „Sie fürchteten indes, dass diese Erklärung als Kotau vor der Union und den Medien verstanden werden könnte.“ Zumindest während der Operation „Pillar of Defense“ machte der Parteivorstand keine Anstalten, diese Befürchtung zu zerstreuen. Als wäre der gewalttätige Dauerkonflikt ein symmetrischer und als würde den Palästinensern nicht nach wie vor die Gründung eines eigenen Staates verweigert: „Keine Bomben auf Gaza und keine Raketen auf Israel!“ und humanitäre Hilfe für die Opfer, lauteten die bis tief hinein in die Parteirechte von CDU und FDP konsensfähigen Forderungen, die Wolfgang Gehrke, dem einzigen Mitglied aus dem Linken-Vorstand, das sich überhaupt äußerte, noch (außer einem kurzen Lamento über die einseitige Positionierung der schwarz-gelben Regierung) zu Nahost einfielen.

Das Medien-Establishment und die politische Klasse (in die sich die parlamentarische Linke mit wachsender Bereitwilligkeit integriert), die bereits auf dem Sprung ist, die Berliner Republik in neue kriegerische Abenteuer (Syrien, Mali) zu stürzen, bekamen wenige Tage nach Beginn der Operation „Pillar of Defense“ das, was sie sich für ihren Opportunismus verdient haben: Ein überschwängliches Lob von der israelischen Botschaft für die „große Unterstützung“ und die „positive“ Berichterstattung. (9)



(1) http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-4304074,00.html
(2) http://www.jpost.com/Opinion/Op-EdContributors/Article.aspx?ID=292466&R=R1&utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter
(3) http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/162402#.UK5iaGdU_To
(4) http://digitaljournal.com/article/337203
(5) http://www.mideastfreedomforum.org/index.php?id=348
(6) http://www.aixpaix.de/autoren/baskin/mord.html
(7) http://bak-shalom.de/index.php/2012/11/22/universelle-emanzipation-statt-krieg-gegen-israel/
(8) http://www.die-linke.de/nc/dielinke/nachrichten/detail/artikel/entschieden-gegen-antisemitismus
(9) http://www.israelnetz.com//aussenpolitik/detailansicht/aktuell/israelische-botschaft-lobt-merkel-und-medien/#.UK5_BmdU_Tp

Quelle:www.hintergrund.de

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