Auf Kriegskurs:
Europas Linke wirbt für„humanitäre Interventionen“
„Ich glaube an zwei Prinzipien: Nie wieder Krieg und nie wieder Auschwitz.“ (1)
Diese Worte wurden auf dem Parteitag der
Grünen im Mai 1999 gesprochen, der während des NATO-Bombardements auf
Jugoslawien, an dem sich auch Deutschland beteiligte, stattfand. Sie
kamen aus dem Mund des Grünen-Politikers und damaligen Außenministers
Joschka Fischer. Sein Kommentar sollte den Krieg gegen das serbische
Volk rechtfertigen. Dasselbe Volk, das bereits in zwei Weltkriegen unter
dem deutschen Imperialismus zu leiden hatte.
In den 1970er Jahren war Fischer ein
linksradikaler Aktivist und in den 1980er Jahren gehörte er zu den
Mitbegründern der Grünen. Das Anliegen hinter der Parteigründung war es,
den verschiedenen Umwelt- und Antikriegsgruppen eine parlamentarische
Repräsentation zu verschaffen. Hätte in der damaligen Zeit jemand über
die Möglichkeit gesprochen, dass diese Partei gegen Ende des
Jahrtausends eine aktive Rolle in einem Aggressionskrieg gegen
Jugoslawien spielen würde, es wäre als absurd abgestempelt worden. Eine
direkte Beteiligung Deutschlands an einem Krieg war ein völliges Tabu,
und niemand auf Seiten der Linken oder der Rechten hätte es gewagt, eine
solche Option in Erwägung zu ziehen. Nach 1945 war es allgemeiner
Konsens, dass von Deutschland nie wieder ein Krieg ausgehen sollte.
Der politische Übergang in Deutschland,
der sich in großen Teilen Westeuropas widerspiegelte, ist wichtig für
das Verständnis, wie es dazu kam, dass viele Mainstream-Linke zu
modernen Kriegstreibern wurden, oftmals sogar in einem größeren Maße als
ihre konservativen Widersacher.
Mit ihrem Eintreten für das Konzept des
„Humanitären Interventionismus“ und ihrer moralischen Autorität
erscheinen die „progressiven“ politischen Entscheidungsträger viel
glaubwürdiger als die lärmenden neokonservativen Hassprediger, wenn es
darum geht, eine militärische Intervention vor der Bevölkerung zu
rechtfertigen.
In Westeuropa sind die meisten
Befürworter der Militarisierung innerhalb der Mainstream-Linken mit den
grünen oder den sozialdemokratischen Parteien verbunden. Einer der
ersten Verfechter militärischer „humanitärer Interventionen“ war Daniel
Cohn-Bendit, Mitglied der Grünen in Frankreich. Er war auch einer der
Vordenker der Abschaffung der europäischen Nationalstaaten zugunsten
einer stärkeren Europäischen Union. Während des Bürgerkriegs in der
ehemaligen jugoslawischen Republik Bosnien verlangte Cohn-Bendit die
Bombardierung der Serben. Jeder, der damit nicht einverstanden sei,
würde dieselbe Schuld auf sich laden wie diejenigen, die während des
faschistischen Massenmords im Zweiten Weltkrieg tatenlos zuschauten:
„Schande über uns!
Wir, die Generation, die unsere Eltern so sehr für ihre politische
Feigheit missachtet hat, schauen jetzt selber scheinbar hilf- und
machtlos und doch selbstgefällig dabei zu, wie die bosnischen Muslime
Opfer einer ethnischen Säuberung werden.“ (2)
Während des Bosnien-Krieges wurde die
Masche perfektioniert, mittels der Zeichnung von Parallelen zu den
Verbrechen der Nazis jene zu dämonisieren, die den geostrategischen
Interessen des Westens im Wege stehen. Exemplarisch dafür steht die
Geschichte von den sogenannten Todescamps in Bosnien: Als Beweis für die
angebliche Existenz von Konzentrationslagern, die von den Serben in
Nazi-Manier betrieben würden, veröffentlichte eine britische Zeitung im
August 1992 ein Foto, das einen abgemagerten Mann hinter einem
Stacheldrahtzaun zeigt. Wie später jedoch der deutsche Journalist Thomas
Deichmann herausfand, stand der Mann außerhalb des Zaunes und war
nicht hinter Stacheldraht gefangen. (3)
Natürlich gab es Gefangenenlager auf
allen Seiten und die Bedingungen dort waren zweifellos oftmals
schrecklich. Die Sache ist jedoch die, dass die westliche Propaganda
versuchte, die Seite der Kroaten und Muslime reinzuwaschen, indem sie
ganz und gar als Opfer dargestellt, während gleichzeitig die bosnischen
Serben als Barbaren und Nazis präsentiert wurden.
Kontrahenten oder auch ganze
Bevölkerungsgruppen mit einem Etikett zu versehen, um diese zu
dämonisieren, ist kein neues Konzept in der Kriegspropaganda. Ein
entpolitisiertes Verständnis von Faschismus, als lediglich eine Form des
Nationalismus, ermöglicht es der postmodernen Linken, Aggressionskriege
als „humanitäre Interventionen“ und somit „antifaschistische“ Aktionen
zu präsentieren. Die traditionelle linke Sichtweise sieht im Faschismus
hingegen nicht nur eine chauvinistische, rassistische Ideologie, sondern
berücksichtigt auch dessen wirtschaftlichen Hintergrund und dessen
Bündnis mit der Hochfinanz, der Rüstungsindustrie und den politischen
Eliten.
Als der UN-Sicherheitsrat im März 2011
die Resolution 1973 zur Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen
verabschiedete, die als Vorwand für einen Angriff auf das Land diente,
enthielt sich Deutschland zusammen mit Russland, China, Indien und
Brasilien der Stimme. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition erntete für
diese Haltung heftige Kritik aus den Reihen der Sozialdemokraten und vor
allem aus den Reihen der Grünen, die der Bundesregierung vorwarfen,
nicht stärker eine Pro-Kriegs-Position bezogen zu haben. Der ehemalige
Außenminister Joschka Fischer attackierte seinen Amtsnachfolger Guido
Westerwelle dafür, die Resolution der Kriegstreiber nicht unterstützt zu
haben und merkte an, dass der Anspruch Deutschlands auf einen ständigen
Sitz im UN-Sicherheitsrat damit „in die Tonne getreten“ wurde. (4)
Es ist daher nicht überraschend, dass
sich im gegenwärtigen Konflikt in Syrien – welcher erheblich vom Westen
orchestriert und finanziert wird, wie auch die Bürgerkriege in
Jugoslawien und Libyen – grüne und linksliberale Politiker in Westeuropa
als die stärksten Befürworter einer Strategie der Eskalation gebärden.
In einer Fernsehdebatte verwehrte sich die Grünen-Vorsitzende Claudia
Roth gegenüber jeder Stimme der Vernunft, die für Verhandlungen mit der
Assad-Regierung plädiert. (5) Zu diesen zählt auch der Autor und
ehemalige Politiker Jürgen Todenhöfer, der eine ausgewogene Position
vertritt und jüngst für ein Interview mit Bashar Al-Assad nach Damaskus
reiste, damit die Welt auch die „andere Seite“ hören könne. (6) Die
Tatsache, dass überhaupt jemand Al-Assad seine Meinung sagen lässt, war
für Claudia Roth zu viel. Sie drückte ihre Verärgerung über Todenhöfers
Reise in unmissverständlichen Worten aus.
Zur selben Zeit war es der frisch
gewählte „sozialistische“ Präsident François Hollande, der als erstes
westliches Staatsoberhaupt die Option eines Angriffs auf Syrien
öffentlich in Erwägung zog. In seiner Erklärung ließ er die Welt wissen,
dass er eine „internationale militärische Intervention in Syrien“ nicht
ausschließe. (7)
Hollandes Wahl zum Präsidenten war
Ausdruck der Hoffnung vieler Menschen, Nicolas Sarkozys reaktionärer,
neoliberaler und korrupten Politik ein Ende zu bereiten und sie durch
eine humanere Form zu ersetzen. Was die Außenpolitik angeht, setzt
Hollande bedauerlicherweise die neokoloniale Agenda seines Vorgängers
fort. (8)
Sowohl im Fall Libyens als auch Syriens
forderte Bernard-Henri Levy, ein französischer Philosoph,
professioneller Selbst-Promoter und häufig Objekt des Gespötts der
Medien, seine Regierung zur Intervention auf, um das „Töten unschuldiger
Zivilisten“ zu verhindern. (9) Sein Ruf nach Krieg wurde natürlich als
humanistischer Graswurzel-Aktivismus verkauft. In einem offenen Brief an
den Präsidenten, veröffentlicht unter anderem von der Huffington Post,
zog er das Massaker in Hula als Rechtfertigung für eine Intervention
heran. (10) Die Tatsache, dass die Fakten darauf hindeuten, dass es sich
bei den Opfern um Anhänger des Assad-Regierung gehandelt hat und diese
von Aufständischen getötet worden sind (11), konnte der
Schwarz-Weiß-Malerei des virtuosen philanthropischen Aktivisten nichts
anhaben.
Von „Auschwitz“ in Bosnien und im Kosovo
hin zum „syrischen Diktator“, der Frauen und Kinder abschlachtet, die
Strategie, mit der der Widerstand der Bevölkerung gegen einen
Aggressionskrieg überwunden werden soll, bleibt dieselbe: Es wird an ihr
Schuldbewusstsein und an ihr schlechtes Gewissen appelliert – die
„schaut-nicht-tatenlos-zu“-Taktik. Und niemand beherrscht diese Taktik
besser als die heutigen „progressiven“ falschen Samariter.
Eingedenk dessen wenden wir uns wieder
dem Beispiel Deutschland zu. Bisher hat sich die deutsche Regierung
aktiv daran beteiligt, antisyrische Propaganda zu verbreiten. Sie legt
aber nicht dieselbe Begeisterung für eine Intervention an den Tag, wie
sie sich in den Reihen der „Progressiven“ ausmachen lässt. Auch wenn
sich nicht viel Positives über die neoliberale, US-freundliche Regierung
Angela Merkels sagen lässt, so ist sie nicht in demselben Ausmaß wie
die rot-grüne Opposition dazu bereit, das Risiko eines militärischen
Abenteuers einzugehen und spricht sich dementsprechend weiterhin für
eine „diplomatische Lösung“ aus. (12) Auch wenn die Vita der
schwarz-gelben Regierung zeigt, dass sie weit davon entfernt ist, in
Sachen Interventionismus unschuldig zu sein (13), könnte es noch
schlimmer kommen, falls sich nach den Bundestags-Wahlen im Jahr 2013
erneut eine rot-grüne Regierung konstituiert, wie es zwischen 1998 und
2005 der Fall war. Schließlich hat sie seinerzeit die historische
Leistung vollbracht, zum ersten mal seit 1945 Kriege in der deutschen
Öffentlichkeit salonfähig zu machen.
Der Artikel erschien im Original am 21. September bei Global Research unter dem Titel Europe’s Pro-War Leftists: Selling “Humanitarian Intervention. Übersetzung: Hintergrund
Anmerkungen
(1) http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/docpage.cfm?docpage_id=4440.
(2) http://web.archive.org/web/20101122200452/http://esiweb.org/index.php?lang=en&id=281&story_ID=19&slide_ID=3.
(3) http://web.archive.org/web/19991110185707/www.informinc.co.uk/LM/LM97/LM97_Bosnia.html.
(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/streitfall-libyen-einsatz-deutsche-aussenpolitik-eine-farce-1.1075362.
(5) http://www.ardmediathek.de/das-erste/hart-aber-fair/21-00-besser-wegschauen-und-stillhalten-darf-uns-syrien?documentId=11083714.
(6) https://www.youtube.com/watch?v=NBJlpY1qX28.
(7) http://www.spiegel.de/international/world/french-president-leaves-open-possibility-of-military-intervention-in-syria-a-835906.html.
(8) Während seiner Präsidentschaft war Sarkozy verantwortlich für die militärischen Interventionen in Libyen und der Elfenbeinküste.
(9) http://www.guardian.co.uk/world/2012/may/25/levy-libya-film-screening-cannes-festival.
(10) http://www.huffingtonpost.com/bernardhenri-levy/syria-massacre-houla_b_1552380.html.
(11) Siehe beispielsweise: http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=31455.
(12) http://www.tagesschau.de/ausland/syrien1576.html.
(13) So lässt Deutschland den Aufständischen über den Bundesnachrichtendienstes militärische Unterstützung zukommen. Siehe: http://www.wsws.org/articles/2012/aug2012/syri-a21.shtml.
(2) http://web.archive.org/web/20101122200452/http://esiweb.org/index.php?lang=en&id=281&story_ID=19&slide_ID=3.
(3) http://web.archive.org/web/19991110185707/www.informinc.co.uk/LM/LM97/LM97_Bosnia.html.
(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/streitfall-libyen-einsatz-deutsche-aussenpolitik-eine-farce-1.1075362.
(5) http://www.ardmediathek.de/das-erste/hart-aber-fair/21-00-besser-wegschauen-und-stillhalten-darf-uns-syrien?documentId=11083714.
(6) https://www.youtube.com/watch?v=NBJlpY1qX28.
(7) http://www.spiegel.de/international/world/french-president-leaves-open-possibility-of-military-intervention-in-syria-a-835906.html.
(8) Während seiner Präsidentschaft war Sarkozy verantwortlich für die militärischen Interventionen in Libyen und der Elfenbeinküste.
(9) http://www.guardian.co.uk/world/2012/may/25/levy-libya-film-screening-cannes-festival.
(10) http://www.huffingtonpost.com/bernardhenri-levy/syria-massacre-houla_b_1552380.html.
(11) Siehe beispielsweise: http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=31455.
(12) http://www.tagesschau.de/ausland/syrien1576.html.
(13) So lässt Deutschland den Aufständischen über den Bundesnachrichtendienstes militärische Unterstützung zukommen. Siehe: http://www.wsws.org/articles/2012/aug2012/syri-a21.shtml.
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