Samstag, 24. Januar 2009

Kolonialismus und Israel

Kolonialismus und Israel
James Brooks, 24. Januar 2007



Vor dem Beginn der europäischen Besiedelung vor einem Jahrhundert lebten Generationen von muslimischen, christlichen und jüdischen Palästinensern im heiligen Land ohne nennenswerte Konflikte zusammen. Mit der Ankunft des Zionismus begann eine Tradition der Intoleranz, die allmählich zu einem Strom vergossenen Blutes anwuchs, der direkt in das Meer von Gewalt und Chaos mündet, das die Region heute prägt.



Wie ihre heutigen Nachkommen glorifizierten die frühen zionistischen Siedler die Trennung von Juden und Nichtjuden. Sie sonderten sich von den anderen Menschen im Land ab und träumten offen davon, ganz Palästina für die Juden einzufordern. Als fremde Eindringlinge unter selbstgegebenen Gesetzen stellten sie eine Bedrohung für Land und Leben der eingeborenen Bevölkerung dar.



Der politische Zionismus war in dem ethnisch-nationalistischen Eifer gediehen, der während mehrerer Jahrzehnte vor und nach dem ersten Weltkrieg in Europa im Schwange war. Diese Bewegungen, die auch heute noch schwelen, neigten dazu, ideologische Anleihen bei den selbstbeweihräuchernden Ergebnissen der rassistischen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts zu machen, die ihrerseits ein Produkt des jahrhundertelangen europäischen völkermordenden Kolonialismus waren.



Für die ethnischen Nationalisten Europas war ein „Volk“ eine Nation, die das Recht auf einen unabhängigen Staat hatte. Als Konsequenz können Bewohner des Staates, die nicht dem „Volk“ angehören, von den Angelegenheiten der Nation ausgeschlossen, oder gar aus ihr ausgewiesen oder vernichtet werden. Nationalistische Bewegungen in Zentral- und Osteuropa wurden oft von Großbritannien und Frankreich unterstützt, um Deutschland und die beiden multiethnischen Imperien, nämlich das österreichisch-ungarische und ottomanische, zu schwächen.



Die Zionisten trieben den ethischen Nationalismus noch einen Schritt weiter, als sie das Recht auf einen eigenen Staat für eine Religionsgemeinschaft geltend machten. Indem sie eine „jüdische Rasse“ mit ihrer eigenen spekulativen Geschichte zweier Teilrassen (Sephardim und Ashkenase, A.d.Ü.) postulierten, beförderten sie die Vorstellung, daß ein „rassischer Typ“ ein „Volk“ (mit dem Anspruch auf den Status einer Nation) definieren kann. Gleichzeitig akzeptierten sie eine religiöse Definition jüdischer Identität. Auf diese Weise gelang es ihnen, das Judentum für die Ziele ihrer Politik zu instrumentalisieren.



Nachdem die alte Ordnung in Europa und in Südwest-Asien in der Folge des ersten Weltkriegs in Trümmern lag, gestalteten die westlichen Mächte die Landkarte unter der Aufsicht des Völkerbundes neu. In dem vergeblichen Versuch, die Geister des ethnischen Nationalismus zu bändigen, den seine Mitgliedsstaaten selbst entfesselt hatten, forderte der Völkerbund von den balkanisierten „demokratischen Staaten“, die Rechte ihrer völkischen Minoritäten zu respektieren.



In der Praxis wurde diese Aufforderung zur Assimilierung nicht besonders gefördert. Die Verfassungen mehrerer der neuen Staaten definierten die Staatsangehörigkeit entsprechend den ethnischen Zugehörigkeiten. Liberale debattierten über das Assimilierungspotential der verschiedenen ethischen Gruppen, um ihre Eignung zur „Demokratie“ einzuschätzen. Dabei waren die Juden diejenige Gruppe, die am häufigsten als „schwierig“ oder „unmöglich zu assimilieren“ eingeschätzt wurde.



In seinem Buch Dark Continent (*) zeigt Professor Mark Mazower, daß der demokratische Frühling in Europa nach Versailles schnell wieder in die autoritären Gewohnheiten des Europas vor Versailles zurückfiel, allerdings ohne dessen stabilisierenden multi-ethnische Strukturen. Mitte der zwanziger Jahre galt der Faschismus in ganz Europa als respektable und populäre Einstellung. Als Hitler die Macht übernahm, waren faschistische Regierungen derart normal, daß die Nazis sich verpflichtet fühlten, der Bewegung mit aggressiveren Worten und Taten neuen Schwung zu verleihen.



In Großbritannien und in Deutschland galt es als attraktive und auch logische Lösung für Europas altes „jüdisches Problem“, die „jüdische Nation“ aus Europa hinauszubefördern. Der Zionismus versprach, genau dieses zu erreichen und genoß aus diesem Grunde Unterstützung in den höchsten Kreisen der europäischen Gesellschaft. Die britische Besatzung ignorierte (auf Anweisung aus London) die Gesetzlosigkeit der Zionisten und ihre Verfolgung der Araber, während die Nazis sie als Genossen auf dem Weg in eine Zukunft der beiderseitigen „Reinheit der Rassen“ feierten.



Natürlich war es zutiefst kolonialistisch zu glauben, daß Millionen von Europäern massenhaft an irgendeinen Ort außerhalb Europas auswandern könnnten, als wäre die Welt eine tabula rasa, auf der der Kontinent seine schlimmste Heuchelei in einem Zug abschreiben könnte. Während der politische Zionismus Ausdruck von Europas Betörung durch den ethnischen Nationalismus war, gehörte sein Programm dem 19 Jahrhundert an, so wie Lincolns Besessenheit, Amerikaner afrikanischer Herkunft nach Südamerika zu verbringen.



Indem er sich dem arabischen Palästina aufzwang, übernahm der Zionismus die nationalistische Ideologie und verkehrte sie 1948 mit der Gründung eines europäischen kolonialen Staates ethnischer Prägung im Herzen eines arabischen Nahen Ostens, der gleichzeitig im Begriff war, sich zu ent-kolonialisieren, in ihr Gegenteil. Israel war bereits bei seiner Geburt ein Anachronismus.



Gelenkt durch die antisemitischen Einwanderungsgesetze der westlichen Nationen (die die Lobby der Zionisten unterstützt hatte) verpflanzte sich die „jüdische Nation“ nach Palästina, um ein göttliches Gebot umzusetzen und den Anspruch der alten Nation Israel einzufordern. Dieser allumfassende historische und religiöse Anspruch übertraf mit Leichtigkeit alle anderen nationalen Mythen und begründete die andauernde Neigung des Zionismus zur Dreistigkeit.



Die Motivationen des Zionismus tragen weiterhin dazu bei, Israel als expansionistisches kolonialistisches Projekt im 21. Jahrhundert fortzuführen, das unablässig erobert und zerstört und palästinensisches Land und Wasser raubt. Dieser offen praktizierte Raub nimmt an Dynamik zu. Zum Teil ist dies der „Trennungslinie“ zu verdanken, die Israel in der palästinensischen West Bank baut. In Europa wurden Mauern benutzt, um die Grenzen von Nationen oder Ghettos zu markieren. Israel nutzt sie, um seine Grenzen immer weiter auszudehnen und Ghettos für den eigenen Gebrauch zu schaffen.



Indem er europäische Intoleranz und auf den Holocaust mit den zutiefst rassistischen Begriffen des Kolonialismus beantwortete, hat der Zionismus das Bedürfnis der Juden nach Freiheit und Sicherheit mit den finstersten Beweggründen des menschlichen Herzens verbunden. Er verband die moralische Verblendung des ethnischen Nationalismus mit dem moralischen Verbrechen des Völkermordes und versah den Zionismus auf diese Weise mit der unausweichlichen Notwendigkeit, historische Wahrheit ebenso wie die Menschlichkeit der arabischen und muslimischen Völker zu leugnen.



Dieses sind die tieferen Wurzeln der Gesetzlosigkeit, die wir heute in Palästina und Israel beobachten. Niemand wird verschont. Israel wird von einer wachsenden Welle von Verbrechen, Korruption, Inkompetenz und Käuflichkeit überschwemmt, in die Regierung und die Gesellschaft verstrickt sind. Kürzlich erfuhren wir, daß die Gaunereien sogar die Steuerbehörden und wahrscheinlich auch den Premierminister höchstselbst erfaßt haben. Zur selben Zeit stößt der Staat Drohungen aus, den Iran mit Atomwaffen anzugreifen.



Die Geschichte legt nahe, daß Israel sich einer unausweichlichen Abrechnung mit dem moralischen und politischen Bankrott des Kolonialismus stellen müssen wird. Es kann den Kriegszustand mit seinen Nachbarn nicht für immer aufrechterhalten. Es gibt einen friedlichen Ausweg, der damit beginnt, daß Israel dem Kolonialismus und der Politik der Besatzung abschwört. Ob der ethnische Nationalismus der Zionisten diese Änderungen überstünde, bleibt dabei offen. Ohne die Änderungen mag Israel sich überraschend einem Tag der Abrechnung stellen müssen, den es nicht beherrscht.

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