Palästina 2012: Gaza und die UN-Resolution
Von Noam Chomsky Übersetzt von Ellen Rohlfs |
„Ihr nehmt mein Wasser, verbrennt meine Olivenbäume,Die Botschaft des alten Mannes gibt genau den Kontext für die letzte Episode der brutalen Strafe des Gazastreifens. Die Verbrechen gehen zurück bis 1948, als hundert Tausende Palästinenser vor Schrecken flohen oder nach Gaza vertrieben wurden, als Israels Armee das Land eroberte – und sie tut es noch heute. Jahre nach der offiziellen Waffenruhe.
verbrennt mein Haus, nehmt mir die Arbeit,
stehlt mein Land, verhaftet meinen Vater.
Tötet meine Mutter, bombardiert mein Land,
Hungert uns aus, demütigt uns alle –
Gebt mir aber die Schuld:
Ich hätte eine Rakete zurückgeschossen.“
Die Strafe hat, als Israel Gaza eroberte, neue Formen angenommen. Vom israelischen Wissenschaftler Avi Raz (vor allem in “The Bride and the Dowry: Israel, Jordan, and the Palestinians in the Aftermath of the June 1967 War” „Die Braut und die Mitgift“ Israel und Jordanien nach dem Junikrieg 1967) erfahren wir, dass es das Ziel der Regierung war, die Flüchtlinge über die Grenze auf die Sinaihalbinsel zu vertreiben – und , wenn möglich, auch die übrige Bevölkerung ( der Westbank).
Vertreibungen aus Gaza wurden unter direktem Befehl des Generals Yeshayahu Gavish, dem Kommandeur des südlichen IDF-Kommandos durchgeführt. Vertreibungen aus der Westbank waren weit drastischer, und Israel griff zu hinterhältigen Mitteln, um die Rückkehr der Vertriebenen zu verhindern – eine direkte Verletzung der UN-Sicherheitsratsresolutionen.
Die Gründe wurden bei internen Diskussionen unmittelbar nach dem Krieg deutlich gemacht: Golda Meir, die spätere Ministerpräsidentin, informierte ihre Kollegen der Laborpartei, dass Israel den Gazastreifen behalten solle, seine Araber aber los werden wolle. Der Verteidigungs-Minister Mosche Dayan und andere waren damit einverstanden.
Ministerpräsident Levi Eshkol erklärte, dass man jenen Vertriebenen nicht erlauben könne, zurückzukehren, weil wir die arabische Bevölkerung in Israel nicht vergrößern können – und bezog sich auf die neu besetzten Gebiete, die schon als Israels angesehen wurden.
In Übereinstimmung mit dieser Vorstellung wurden alle Landkarten Israels verändert und die international anerkannte Grenze, die Grüne Linie gelöscht. Die Veröffentlichung der Karte wurde hinausgezögert, um dem israelischen Botschafter bei der UN Abba Ebban zu erlauben, einen „günstigen toten Punkt“ bei der Vollversammlung zu erreichen und so Israels Absichten zu verbergen.
Die Ziele der Vertreibung mögen bis heute lebendig geblieben sein und mögen auch der Grund für die ägyptische Verzögerung sein, die Grenze zum freien Passieren von Menschen und Waren zu öffnen. Dahinter steht die von den USA unterstützte israelische Belagerung.
Die augenblickliche Eskalation der US-israelischen Gewalt datiert auf den Januar 2006, als die Palästinenser bei der ersten freien Wahl in der arabischen Welt „falsch“ wählten.
Israel und die USA reagierten sofort mit harter Strafe und der Vorbereitung eines militärischen Schlags, um die gewählte Regierung zu stürzen – eine Routineprozedur. Die Strafe wurde 2007 radikal intensiviert, als der erste Versuch fehl schlug, und die gewählte Hamasregierung die volle Kontrolle über den Gazastreifen gewann.
Israel ignorierte nach der 2006-Wahl die sofortigen Waffenstillstandangebote der Hamas, begann einen Angriff, bei dem 660 Palästinenser getötet wurden , von denen die meisten Zivilisten (und ein Drittel Kinder) waren. Nach den UN-Berichten wurden zwischen April 2006 und Juli 2012 2879 Palästinenser durch israelisches Militär getötet und ein paar Dutzend Israelis durch Raketen aus Gaza.
Ein kurzlebiger Waffenstillstand 2008 wurde von Hamas eingehalten, bis Israel ihn im November brach und weitere Angebote auf Waffenruhe ignorierte. Israel begann die mörderische Operation Cast Lead im Dezember 2008.
Die Sache ging weiter: während die US und Israel die Hamasaufrufe zu einer langfristigen Feuerpause weiter zurückwiesen, wie auch ein politisches Abkommen für eine Zweistaatenlösung mit internationalem Konsens, die die USA seit 1976 mit ihrem Veto blockierte, so blockierte es auch eine von den größeren arabischen Staaten vorgebrachte Resolution des UN-Sicherheitsrates.
In dieser Woche bemühte sich Washington sehr darum, die palästinensische Initiative, die ihren Status bei der UN verbessern sollte, zu blockieren. Es gelang ihm nicht.
Die Gründe waren aufschlussreich: Palästina könnte sich wegen der von US unterstützten Verbrechen Israels an den Internationalen Gerichtshof wenden.
Ein Element der unaufhörlichen Schikanen in Gaza ist Israels „Pufferzone“ innerhalb Gaza, die für Palästinenser gesperrt ist – aber sie umfasst fast die Hälfte von Gazas begrenztem landwirtschaftlich genutztem Land.
Seit Januar 2012 bis zu Beginn von Israels letztem Amoklauf am 14. November, der Operation Wolkensäule, wurde ein Israeli durch ein Geschoss aus dem Gazastreifen erschossen, während 78 Palästinenser von Israelis getötet wurden.
Die ganze Geschichte ist natürlich viel komplexer und hässlicher.
Der erste Akt der „Operation Wolkensäule“ war der Mord an Ahmed Jabari. Aluf Benn, der Redaktionsleiter der Zeitung Haaretz, beschreibt ihn als Israels „Subunternehmer“ und „Grenzwächter“ in Gaza, der seit über fünf Jahren dafür sorgte, dass dort relative Ruhe herrschte.
Der Vorwand für die Ermordung war, dass Jabari während dieser fünf Jahre eine Militärkraft mit Raketen aus dem Iran aufgebaut habe. Ein glaubwürdigerer Grund wurde vom israelischen Friedensaktivist Gershon Baskin geliefert, der jahrelang an direkten Verhandlungen mit Jabari beteiligt war, einschließlich der Pläne für eine endliche Freilassung des israelischen Gefangenen Soldaten Gilat Shalit.
Baskin berichtet, dass nur Stunden vor seinem Mord, Jabari „einen Entwurf für eine langwährende Waffenruhe mit Israel empfangen hatte, der einen Mechanismus einschloss, der eine Feuerpause auch in dem Fall aufrecht erhält, wenn es zu einer Schießerei zwischen Israel und Fraktionen im Gazastreifen kommen sollte“.
Eine Waffenpause, von Hamas am 12. November ausgerufen, fand statt, wurde dann aber offensichtlich von Israel ausgenützt – wie Reuters berichtet – und die Aufmerksamkeit auf die syrische Grenze gelenkt, in der Hoffnung, dass die Hamasführer in ihrer Wachsamkeit nachlassen würden und es leichter sein würde, sie zu ermorden.
Während dieser Jahre ist der Gazastreifen nur gerade auf einem Level des Überlebens gehalten worden: abgesperrt vom Land, dem Meer und aus der Luft. Am Vorabend des letzten Überfalls berichtete die UN, dass 40% aller wesentlichen Medikamente fehlten und mehr als die Hälfte wesentlicher medizinischer Geräte nicht funktionieren.
Eines der ersten aus einer Reihe Fotos, die aus Gaza kamen, zeigte einen Arzt, der einen verkohlten Leichnam eines ermordeten Kindes im Arm hielt. Dies ging einem unter die Haut. Der Arzt ist der Direktor und Chef der Chirurgie des Khan-Yunis-Krankenhauses, den ich vor ein paar Wochen besucht hatte.
Als ich über meinen Besuch dort berichtete, schrieb ich auch von seinem leidenschaftlichen Appell um verzweifelt benötigte Medizin und chirurgische Ausrüstung. Dies gehört zu den Verbrechen der US-israelischen Belagerung und der ägyptischen Komplizenschaft.
Die Todesrate während der November-Episode betrug mehr als 160 (173) tote Palästinenser, einschließlich vieler Kinder und sechs Israelis.
Unter den Toten waren drei Journalisten. Die offizielle israelische Rechtfertigung war, dass „die Ziele Leute sind, die eine Beziehung zur Terroraktivität haben.“ Beim Berichten über die „Exekution“ in der New York Times beobachtete David Carr, dass das Töten von Mitgliedern der Medien mit einer formlosen Phrase gerechtfertigt werden kann: „Relevanz zu Terroraktivitäten“.
Die massive Zerstörung fand im ganzen Gazastreifen statt. Israel benützt weiter entwickelte US-Militärausrüstung und verlässt sich auf diplomatische US-Unterstützung, einschließlich der US-Interventions-Bemühungen, um einen Aufruf zur Feuerpause des UN-Sicherheitsrats zu blockieren.
Mit jedem dieser Abenteuer verliert Israel global an Image. Die Fotos und Videos über Terror und Verwüstung und die Art des Konfliktes lassen wenig von der Glaubwürdigkeit der „selbst erklärten „moralischsten Armee in der Welt“ übrig, mindestens unter den Leuten, die offene Augen haben.
Der Vorwand für den Überfall war also wie üblich. Wir können also die voraussagbaren Erklärungen der Täter in Israel und Washington beiseitelassen. Aber selbst dezente Leute fragen, was Israel tun sollte, wenn es von Raketen aus Gaza angegriffen wird. Das ist eine berechtigte Frage. Und es gibt einfache Antworten.
Eine Antwort würde sein: das internationale Recht einhalten, das die Anwendung von Gewalt ohne Genehmigung des Sicherheitsrats nur in einem einzigen Fall erlaubt: zur Selbstverteidigung, nachdem man den Sicherheitsrat von einem bewaffneten Angriff informiert hat, bis der Sicherheitsrat handelt – gemäß der UN-Charter, Artikel 51.
Israel ist mit diesem Charter sehr vertraut, denn sie hat mit dem Ausbruch des Junikrieges 1967 zu tun. Aber Israels Appell geht nirgendwohin, wenn es schnell feststellte, dass Israel den Angriff beginnen musste. Israel folgte im November nicht diesem Kurs, da es wusste, was bei einer Debatte im Sicherheitsrat bekannt würde.
Eine andere knappe Antwort würde sein, der Waffenruhe zuzustimmen, wie sie vor der Operation, am 14. November sehr möglich schien.
Andere weitreichende Antworten sind möglich. Durch Zufall wird eine in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift National Interest diskutiert. Die Asien-Gelehrten Raffaello Pantucci und Alexandros Petersen beschreiben Chinas Reaktion nach Unruhen im Weste nder Provinz Xinxiang, "wo ein Mob von Uiguren in der Stadt herum marschierten und glücklose Han (ethnische Chinesen) zu Tode schlugen."
Chinas Präsident Hu Jintao flog schnell in die Provinz, um Maßnahmen zu nehmen; Spitzenpolitiker im Sicherheits-Apparat wurden entlassen und eine breite Palette von Entwicklungsprojekten wurden unternommen, um die Ursachen der Unruhen anzugehen.
Auch in Gaza ist eine zivilisierte Reaktion möglich. Die US und Israel könnten den gnadenlosen unversöhnlichen Angriff beenden, die Grenzen öffnen, Baumaterial liefern und, falls es vorstellbar wäre, Reparationen für Jahrzehnte lange Gewalt und Unterdrückung zu zahlen.
Das Abkommen über eine Feuerpause stellt fest, dass die Maßnahmen zur Erfüllung des Belagerungszustandes und das gezielte Töten im Grenzbereich nach „24 Stunden von Beginn der Feuerpause an in Kraft treten soll.“
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Schritte in dieser Richtung gemacht werden. Es gibt auch keine Anzeichen von us-israelischer Bereitschaft, ihre Trennung des Gazastreifens von der Westbank rückgängig zu machen – übrigens eine Verletzung des Oslo-Abkommens – und den illegalen Siedlungsbau zu stoppen und ein Entwicklungsprogramm in der Westbank zu beenden, das ein politisches Abkommen unmöglich machen soll. Auch in anderer Weise gehen sie nicht davon aus, die ablehnende Haltung der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen.
Eines Tages, und es muss bald sein, wird die Welt auf das Plädoyer des angesehenen Gazaer Menschenrechtsanwalts Raji Sourani, reagieren müssen, während die Bomben wieder auf wehrlose Zivilisten in Gaza regneten: "Wir fordern Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht. Wir träumen von einem normalen Leben in Freiheit und Würde. "
Quelle
zuerst gefunden bei www.gegenmeinung.de
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