No Unions please, we're German
06.12.2012
Vorgaben aus der Zentrale
Wie Kritiker schildern, entlässt der zur Deutschen
Post gehörende Logistik-Konzern DHL an seinen Standorten außerhalb
Deutschlands systematisch Gewerkschafter.[1] Berichten zufolge mussten
etwa Arbeitnehmer-Aktivisten in Indien, Bahrain, Guatemala, Norwegen,
Südafrika und der Türkei ihren Arbeitsplatz räumen. "Als ich mit dem
Personalvorstand von DHL in der Türkei, Riza Balta, geredet habe, hat
der mir gesagt, Bonn, also die Muttergesellschaft Deutsche Post DHL,
wünsche keine Gewerkschaften bei DHL-Türkei, und an diese Vorgabe werde
er sich halten", schildert Kenan Öztürk von der Gewerkschaft Tümtis
seine Erfahrungen mit der Geschäftspolitik des deutschen Dienstleisters
in seinem Land.[2] Nicht nur durch Kündigungen suchen die
DHL-Niederlassungen mehrerer Länder den Vorgaben ihrer deutschen
Zentrale zu entsprechen. Die Betriebsleitungen drohen Mitarbeitern, die
sich weigern, die Gewerkschaft zu verlassen, den Verlust ihres
Arbeitsplatzes an, versetzen Mitglieder willkürlich und benachteiligen
sie bei Beförderungen oder Lohn-Erhöhungen. Schon das bloße Aussprechen
des Wortes "Gewerkschaft", heißt es, ziehe mancherorts Sanktionen nach
sich.
Tarifverträge nicht übernommen
Andere bundesdeutsche Unternehmen wie Siemens,
T-Mobile, Bayer, Bosch, ThyssenKrupp und Daimler verhalten sich laut
übereinstimmenden Berichten ähnlich. So weigerte sich der
Siemens-Konzern, als er 2003 ein Elektrizitätswerk im Bundesstaat New
York kaufte, die Tarifverträge mitzuübernehmen.[3] Man empfinde sich
nicht als Nachfolger des früheren Eigentümers, argumentierte die
Unternehmensführung. Zudem fühle man sich auch deshalb nicht mehr an die
Vereinbarungen gebunden, weil die Gewerkschaft nicht mehr die Mehrheit
der Belegschaft repräsentiere und sich die Tätigkeitsfelder der
Beschäftigten geändert hätten.
Ein Klima der Angst
Der US-amerikanischen Telekom-Tochter T-Mobile werfen
Gewerkschafter derweil vor, mit "Kündigungen, Diffamierungen und
Einschüchterungen der Mitarbeiter" zu operieren, um den Aufbau von
Interessenvertretungen zu verhindern. Von einem "Klima der Angst"
spricht ein Belegschaftsangehöriger.[4] Der Mobilfunk-Betrieb hat in
Stellenanzeigen sogar speziell nach Personalmanagern gesucht, die
"Unterstützung bei angemessenen Eingriffen für den Zweck der Wahrung
einer produktiven und gewerkschaftsfreien Umgebung" leisten können.[5]
Von acht auf drei Prozent
Der Leverkusener Bayer-Konzern bilanziert den Erfolg
derartiger Bemühungen in seinem "Nachhaltigkeitsbericht".[6] Demnach
gelten weltweit nur noch für 54 Prozent der Bayer-Angestellten
Tarifverträge. Der Pharma-Riese führt dies hauptsächlich auf die
"rückläufige Entwicklung gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter in
den USA" zurück. Die entsprechende Quote sank binnen eines Jahres von
acht auf drei Prozent.
Hilfe von Spezialisten
Manche Konzerne versichern sich bei ihrer Abwehrarbeit
auch professioneller Hilfe. T-Mobile griff in den USA auf die Dienste
von Adams, Nash, Haskell and Sheridan zurück, die sich als Nordamerikas
führende Strategen in Sachen "Arbeitsverhältnisse" bezeichnen und auf
ihrer Homepage ganz offen "Anti-Gewerkschaftskampagnen" im
Beratungsangebot führen. Die Consulting-Firma hat für T-Mobile in den
USA unter anderem ein spezielles Handbuch mit Tipps zum "Union Busting"
erstellt. "Das Privileg, die Gewerkschaftsfreiheit zu wahren", sei "eine
Ehre", heißt es darin.[7] Die Mittel und Wege, dieses Privileg zu
erreichen, dürften sich ruhig auch einmal in Grenzbereichen bewegen,
ermuntern Adams und Co. ihren Kunden, denn Personalmanager seien "für
Verstöße gegen Prinzipien nicht persönlich haftbar". DHL, Siemens und
ThyssenKrupp griffen ebenfalls bereits auf Spezialisten zur
Unterminierung der innerbetrieblichen Koalitionsfreiheit zurück.
Auf der Anklagebank
Ihr Vorgehen gegen Beschäftigten-Organisationen
brachte die bundesdeutschen Unternehmen schon häufig in Konflikt mit
Justiz oder Aufsichtsbehörden. So hoben Arbeitsgerichte in der Türkei
und Norwegen Kündigungen wieder auf, die DHL gegen Gewerkschafter
ausgesprochen hatte. T-Mobile erhielt wegen der Suche nach einem
Personal-Manager mit "Union Busting"-Erfahrung eine Klage der
US-amerikanischen Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen (NLRB).
ThyssenKrupp wurde bei der NLRB bereits 30 Mal wegen Aktionen zur
Behinderung von Gewerkschaftsarbeit aktenkundig. Dem Siemens-Konzern
erteilte die Behörde nach einer entsprechenden Beschwerde die Anweisung:
"Sehen Sie davon ab, (...) es zu unterlassen oder abzulehnen, die
Gewerkschaft als ausschließlichen Verhandlungsvertreter der Belegschaft
in dem entsprechenden Vertragsbereich anzuerkennen und mit ihr in gutem
Glauben Kollektiv-Verhandlungen zu führen."[8]
Eselsmützen
Das Fehlen von Gewerkschaften in den Betrieben hat
massive Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen. Ohne Tarifvertrag sind
die Beschäftigten schlechter vor prekären Arbeitsverhältnissen,
Arbeitsverdichtung, Arbeitszeitverlängerungen, unzureichender Bezahlung
und Willkürmaßnahmen geschützt. T-Mobile etwa zahlt bis zu fünf Dollar
weniger Stundenlohn als die mit den Gewerkschaften kooperierende
Konkurrenz und musste im Zuge gerichtlicher Anordnungen wegen nicht
honorierter Mehrarbeit bereits Lohn-Rückstände in Höhe von 4,8 Millionen
Dollar begleichen. Darüber hinaus setzt der Konzern Angestellte, die
bestimmte Zielvorgaben nicht erreicht haben, entwürdigenden
Strafritualen wie dem Tragen von Eselsmützen aus.
Lügendetektoren
DHL beschäftigt überdurchschnittlich viele
Leiharbeiter, peinigt Belegschaftsangehörige mit Lügendetektor-Tests und
verstößt gegen ethische Grundsätze. Laut einer Untersuchung der
US-Kommission für Chancengleichheit im Arbeitsleben (EEOC) operierte die
Logistikfirma mit einem "Rassentrennungsmodell", indem es
afro-amerikanische Fahrer vorwiegend in mehrheitlich von
Afro-Amerikanern bewohnten Bezirken einsetzte, europäisch-stämmige
Fahrer hingegen in den übrigen. Auch mussten die afro-amerikanischen
Beschäftigten nach Angaben der EEOC oft schwierigere oder gefährlichere
Tätigkeiten ausüben.
Ersatzkräfte
Bosch drohte Streikenden derweil damit, ihre Stellen
neu zu besetzen, wenn sie nicht umgehend wieder an ihre Arbeitsplätze
zurückkehrten: "Wir setzen Sie hiermit über unsere Absicht in Kenntnis,
am 21. Dezember 2005 mit der Annahme von Bewerbungen zur Einstellung von
Ersatzkräften zu beginnen, um die freien Stellen in der Produktion in
New Richmond zu füllen. (...) Sollten Sie daran interessiert sein, die
Arbeit wieder aufzunehmen, melden Sie sich bitte bis zum 19. Dezember
2005."[9]
"Unglückliche Einzelbeispiele"
Die inkriminierten Unternehmen streiten zumeist ab,
sich mit einer Obstruktionspolitik gegenüber den Gewerkschaften
Wettbewerbsvorteile verschafft zu haben. Die T-Mobile-Muttergesellschaft
Telekom beispielsweise spielt offensichtliche Übergriffe als
"unglückliche Einzelbeispiele" oder "Ausrutscher" herunter und spricht
im Übrigen von einer Kampagne der Gewerkschaften mit dem Ziel, "ihren
Einfluss und ihre Machtstellung in den USA zu vergrößern".[10]
Ausdrücklich hat die Telekom einmal erklärt: "Wir sind nicht gegen
Gewerkschaften, wir haben jedoch ein Problem mit
Tarifverhandlungen."[11]
Das Recht, nicht beizutreten
Auch die DHL will nicht einräumen, Kündigungen wegen
der Mitgliedschaft in einer Beschäftigten-Vertretung ausgesprochen zu
haben. Die Kündigungen seien "wegen Fehlverhaltens oder Verletzung von
arbeitsvertraglichen Pflichten" erfolgt, behauptet der Konzern.[12]
Zwang habe man nie ausgeübt: "Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Deutsche Post DHL weltweit haben das Recht, einer Gewerkschaft ihrer
Wahl beizutreten oder nicht beizutreten."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen