Freitag, 7. Dezember 2012

No Unions please, we're German

No Unions please, we're German
06.12.2012
BERLIN
 
 
 
(Eigener Bericht) - Bundesdeutsche Großkonzerne gehen massiv gegen die Gewerkschaftsarbeit in ihren ausländischen Niederlassungen vor. Sie kündigen aktiven Gewerkschaftern, bespitzeln die Belegschaften und arbeiten mit Einschüchterungen und Drohungen, um den Aufbau gewerkschaftlicher Organisationen zu sabotieren. Unter anderem bedienen sich DHL, Bayer, Daimler, T-Mobile, Bosch, ThyssenKrupp und Siemens solcher Praktiken. Manche der Unternehmen greifen dabei auch auf die Dienste von Firmen zurück, die auf die Abwehr von Beschäftigten-Vertretungen spezialisiert sind. Die Konzerne selbst streiten die Existenz entsprechender Strategien zur Schwächung von Arbeitnehmer-Rechten ab. So bezeichnet etwa die Telekom dokumentierte Fälle von "Union Busting" in ihren US-amerikanischen T-Mobile-Niederlassungen als "unglückliche Einzelbeispiele" oder "Ausrutscher".
 
Vorgaben aus der Zentrale
 
Wie Kritiker schildern, entlässt der zur Deutschen Post gehörende Logistik-Konzern DHL an seinen Standorten außerhalb Deutschlands systematisch Gewerkschafter.[1] Berichten zufolge mussten etwa Arbeitnehmer-Aktivisten in Indien, Bahrain, Guatemala, Norwegen, Südafrika und der Türkei ihren Arbeitsplatz räumen. "Als ich mit dem Personalvorstand von DHL in der Türkei, Riza Balta, geredet habe, hat der mir gesagt, Bonn, also die Muttergesellschaft Deutsche Post DHL, wünsche keine Gewerkschaften bei DHL-Türkei, und an diese Vorgabe werde er sich halten", schildert Kenan Öztürk von der Gewerkschaft Tümtis seine Erfahrungen mit der Geschäftspolitik des deutschen Dienstleisters in seinem Land.[2] Nicht nur durch Kündigungen suchen die DHL-Niederlassungen mehrerer Länder den Vorgaben ihrer deutschen Zentrale zu entsprechen. Die Betriebsleitungen drohen Mitarbeitern, die sich weigern, die Gewerkschaft zu verlassen, den Verlust ihres Arbeitsplatzes an, versetzen Mitglieder willkürlich und benachteiligen sie bei Beförderungen oder Lohn-Erhöhungen. Schon das bloße Aussprechen des Wortes "Gewerkschaft", heißt es, ziehe mancherorts Sanktionen nach sich.
 
Tarifverträge nicht übernommen
 
Andere bundesdeutsche Unternehmen wie Siemens, T-Mobile, Bayer, Bosch, ThyssenKrupp und Daimler verhalten sich laut übereinstimmenden Berichten ähnlich. So weigerte sich der Siemens-Konzern, als er 2003 ein Elektrizitätswerk im Bundesstaat New York kaufte, die Tarifverträge mitzuübernehmen.[3] Man empfinde sich nicht als Nachfolger des früheren Eigentümers, argumentierte die Unternehmensführung. Zudem fühle man sich auch deshalb nicht mehr an die Vereinbarungen gebunden, weil die Gewerkschaft nicht mehr die Mehrheit der Belegschaft repräsentiere und sich die Tätigkeitsfelder der Beschäftigten geändert hätten.
 
Ein Klima der Angst
 
Der US-amerikanischen Telekom-Tochter T-Mobile werfen Gewerkschafter derweil vor, mit "Kündigungen, Diffamierungen und Einschüchterungen der Mitarbeiter" zu operieren, um den Aufbau von Interessenvertretungen zu verhindern. Von einem "Klima der Angst" spricht ein Belegschaftsangehöriger.[4] Der Mobilfunk-Betrieb hat in Stellenanzeigen sogar speziell nach Personalmanagern gesucht, die "Unterstützung bei angemessenen Eingriffen für den Zweck der Wahrung einer produktiven und gewerkschaftsfreien Umgebung" leisten können.[5]
 
Von acht auf drei Prozent
 
Der Leverkusener Bayer-Konzern bilanziert den Erfolg derartiger Bemühungen in seinem "Nachhaltigkeitsbericht".[6] Demnach gelten weltweit nur noch für 54 Prozent der Bayer-Angestellten Tarifverträge. Der Pharma-Riese führt dies hauptsächlich auf die "rückläufige Entwicklung gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter in den USA" zurück. Die entsprechende Quote sank binnen eines Jahres von acht auf drei Prozent.
 
 
 Hilfe von Spezialisten
 
Manche Konzerne versichern sich bei ihrer Abwehrarbeit auch professioneller Hilfe. T-Mobile griff in den USA auf die Dienste von Adams, Nash, Haskell and Sheridan zurück, die sich als Nordamerikas führende Strategen in Sachen "Arbeitsverhältnisse" bezeichnen und auf ihrer Homepage ganz offen "Anti-Gewerkschaftskampagnen" im Beratungsangebot führen. Die Consulting-Firma hat für T-Mobile in den USA unter anderem ein spezielles Handbuch mit Tipps zum "Union Busting" erstellt. "Das Privileg, die Gewerkschaftsfreiheit zu wahren", sei "eine Ehre", heißt es darin.[7] Die Mittel und Wege, dieses Privileg zu erreichen, dürften sich ruhig auch einmal in Grenzbereichen bewegen, ermuntern Adams und Co. ihren Kunden, denn Personalmanager seien "für Verstöße gegen Prinzipien nicht persönlich haftbar". DHL, Siemens und ThyssenKrupp griffen ebenfalls bereits auf Spezialisten zur Unterminierung der innerbetrieblichen Koalitionsfreiheit zurück.
 
Auf der Anklagebank
 
Ihr Vorgehen gegen Beschäftigten-Organisationen brachte die bundesdeutschen Unternehmen schon häufig in Konflikt mit Justiz oder Aufsichtsbehörden. So hoben Arbeitsgerichte in der Türkei und Norwegen Kündigungen wieder auf, die DHL gegen Gewerkschafter ausgesprochen hatte. T-Mobile erhielt wegen der Suche nach einem Personal-Manager mit "Union Busting"-Erfahrung eine Klage der US-amerikanischen Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen (NLRB). ThyssenKrupp wurde bei der NLRB bereits 30 Mal wegen Aktionen zur Behinderung von Gewerkschaftsarbeit aktenkundig. Dem Siemens-Konzern erteilte die Behörde nach einer entsprechenden Beschwerde die Anweisung: "Sehen Sie davon ab, (...) es zu unterlassen oder abzulehnen, die Gewerkschaft als ausschließlichen Verhandlungsvertreter der Belegschaft in dem entsprechenden Vertragsbereich anzuerkennen und mit ihr in gutem Glauben Kollektiv-Verhandlungen zu führen."[8]
Eselsmützen
 
Das Fehlen von Gewerkschaften in den Betrieben hat massive Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen. Ohne Tarifvertrag sind die Beschäftigten schlechter vor prekären Arbeitsverhältnissen, Arbeitsverdichtung, Arbeitszeitverlängerungen, unzureichender Bezahlung und Willkürmaßnahmen geschützt. T-Mobile etwa zahlt bis zu fünf Dollar weniger Stundenlohn als die mit den Gewerkschaften kooperierende Konkurrenz und musste im Zuge gerichtlicher Anordnungen wegen nicht honorierter Mehrarbeit bereits Lohn-Rückstände in Höhe von 4,8 Millionen Dollar begleichen. Darüber hinaus setzt der Konzern Angestellte, die bestimmte Zielvorgaben nicht erreicht haben, entwürdigenden Strafritualen wie dem Tragen von Eselsmützen aus.
 
 
Lügendetektoren
 
 
DHL beschäftigt überdurchschnittlich viele Leiharbeiter, peinigt Belegschaftsangehörige mit Lügendetektor-Tests und verstößt gegen ethische Grundsätze. Laut einer Untersuchung der US-Kommission für Chancengleichheit im Arbeitsleben (EEOC) operierte die Logistikfirma mit einem "Rassentrennungsmodell", indem es afro-amerikanische Fahrer vorwiegend in mehrheitlich von Afro-Amerikanern bewohnten Bezirken einsetzte, europäisch-stämmige Fahrer hingegen in den übrigen. Auch mussten die afro-amerikanischen Beschäftigten nach Angaben der EEOC oft schwierigere oder gefährlichere Tätigkeiten ausüben.
Ersatzkräfte
 
Bosch drohte Streikenden derweil damit, ihre Stellen neu zu besetzen, wenn sie nicht umgehend wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten: "Wir setzen Sie hiermit über unsere Absicht in Kenntnis, am 21. Dezember 2005 mit der Annahme von Bewerbungen zur Einstellung von Ersatzkräften zu beginnen, um die freien Stellen in der Produktion in New Richmond zu füllen. (...) Sollten Sie daran interessiert sein, die Arbeit wieder aufzunehmen, melden Sie sich bitte bis zum 19. Dezember 2005."[9]
 
"Unglückliche Einzelbeispiele"
 
Die inkriminierten Unternehmen streiten zumeist ab, sich mit einer Obstruktionspolitik gegenüber den Gewerkschaften Wettbewerbsvorteile verschafft zu haben. Die T-Mobile-Muttergesellschaft Telekom beispielsweise spielt offensichtliche Übergriffe als "unglückliche Einzelbeispiele" oder "Ausrutscher" herunter und spricht im Übrigen von einer Kampagne der Gewerkschaften mit dem Ziel, "ihren Einfluss und ihre Machtstellung in den USA zu vergrößern".[10] Ausdrücklich hat die Telekom einmal erklärt: "Wir sind nicht gegen Gewerkschaften, wir haben jedoch ein Problem mit Tarifverhandlungen."[11]
Das Recht, nicht beizutreten
Auch die DHL will nicht einräumen, Kündigungen wegen der Mitgliedschaft in einer Beschäftigten-Vertretung ausgesprochen zu haben. Die Kündigungen seien "wegen Fehlverhaltens oder Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten" erfolgt, behauptet der Konzern.[12] Zwang habe man nie ausgeübt: "Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Deutsche Post DHL weltweit haben das Recht, einer Gewerkschaft ihrer Wahl beizutreten oder nicht beizutreten."
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