| Ein Haufen
        Totenköpfe 
Robert C. Koehler  
                         Bild: Rudolf Bonvie 
Das Kind
        schreit in seinem Bett, weil sich ein Monster im Zimmer
        befindet. Vater kommt herein, schaltet das Licht ein ...  
Das ist die
        Szenerie für Joe Dators makabren Cartoon in einem der
        letzten New Yorker, lustig wie ein Schlag auf die Nase.
        „Schau,“ sagt der Vater und zeigt auf die Wand,
        „da ist kein Monster in der Ecke – es ist nur
        ein Haufen alter Totenköpfe.“  
Warum, Herrgott
        noch, dachte ich an diesen Cartoon, als ich über den neu
        herausgekommenen Global Terrorism Index las? Könnte es
        sein, dass die Monstren unserer Kindheit – die die
        Erwachsenen heutzutage Terroristen nennen – zu
        politischen Zwecken manipuliert werden?   
Dieser erste
        Index dieser Art, welcher beruht auf Daten, die das
        National Consortium for the Study of Terrorism and
        Responses to Terrorism (Nationale Arbeitsgemeinschaft
        für die Untersuchung des Terrorismus und Reaktionen auf
        Terrorismus) oder START, das seinen Sitz in der
        University of Maryland hat, und veröffentlicht wird von
        dem Institute for Economics and Peace, zeigt auf, dass
        terroristische Vorfälle rund um den Globus Jahr für
        Jahr ziemlich stark angestiegen sind seit 9/11 und dem
        Beginn des „Kriegs gegen den Terror.“ 
„In den
        zehn Jahren seit 9/11“ haben laut dem Institute for
        Economics and Peace „die Todesopfer von
        terroristischen Attacken um 195 Prozent zugenommen, die
        Vorfälle um 460 Prozent und die Verletzungen um 224
        Prozent.“ Die drei Länder, die an der bei weitem
        größten Anzahl solcher Attacken leiden, sind –
        Überraschung, Überraschung! – der Irak,
        Afghanistan und Pakistan, die Länder, die wir besetzt
        haben oder quasi besetzt.  
In anderen
        Worten, dieser wahnwitzige Krieg ist in Wahrheit nichts
        als ein Krieg zur Förderung des Terrors – welche
        Bezeichnung ich diesem Krieg schon von Anfang an gegeben
        habe.  
Wenn wir mit
        diesen Daten den Humor aus Dators Cartoon herauslassen,
        dann ist das, was übrig bleibt, die düstere Realität
        der Weltpolitik: selbst geschaffene Monster (die
        natürlich real werden) und ein Haufen Totenköpfe. Die
        Totenköpfe verkörpern den Schaden, kollateralen und
        sonstigen, den wir, die militarisierten Staaten der
        Ersten Welt, bei der Verfolgung unserer Interessen und
        unserer Monstren anrichten.  
Wie Common
        Dreams ausführt, ist natürlich die Definition von
        Terrorismus, die in dem Index zur Anwendung kommt,
        peinlich eng: „illegaler“ Einsatz von Macht
        oder Gewalt seitens nichtstaatlicher Akteure, um ein
        bestimmtes Ziel zu erreichen.
        Angst-und-Schrecken-Bombardierungen zählen nicht, obwohl
        deren einziger Zweck darin besteht, ein ganzes Land zu
        terrorisieren; Mord per Drohne zählt nicht, obwohl die
        Überwachung durch bewaffnete Drohnen das normale
        Gemeinschaftsleben ganzer Regionen paralysiert; und alle
        die weiteren offenen und geheimen staatlichen Aktionen,
        vom präventiven Einmarsch zum geheim inszenierten
        Staatsstreich bis zur Verseuchung mit Gift und
        Radioaktivität durch die moderne, hoch technisierte,
        „legitime“ Kriegsführung zählen nicht als
        Terrorismus, obwohl sie Terror in alle Richtungen
        verbreiten.  
Ich kehre zurück
        zu der dokumentierten Realität, nach der keine dieser
        Bemühungen ihren erklärten Zweck erreicht, nicht anders
        als der „Krieg gegen die Drogen,“ der nie etwas
        erreicht hat außer der exponentiellen Ausweitung des
        internationalen Drogenproblems.  
Aber unsere
        Kriege generieren einen endlosen Nachschub von Feinden
        (wirkliche menschliche Wesen, die uns gram sind) und
        Monstern (eingebildete menschliche Wesen, die uns nur
        Böses antun wollen). Während nun der Global Terrorism
        Index die ersteren dokumentiert, kümmert sich kaum
        jemand außer vielleicht Kartoonisten um die letzteren,
        außer man rechnet die Soldaten und zurückkehrenden
        Veteranen dazu – oft mit der Diagnose PTSD
        (Kriegspsychose, eine psychische Krankheit) – die zu
        erstaunlichen Quoten Selbsttötungen begehen.  
Vor ein paar
        Monaten schrieb ich über das Konzept
        der „moralischen Verwundung," (>>>
        LINK) eine neue, breitere
        Möglichkeit, PTSD zu betrachten, nicht als psychische
        Krankheit sondern als natürliche Konsequenz der
        Teilnahme am Töten von Menschen auf Befehl – eine
        Verletzung der in der Persönlichkeit verankerten
        menschlichen Empathie.  
Den meisten von
        uns fehlt eine Fähigkeit zum Töten. Dave Grossmann, ein
        Psychologe und ehemaliger Army Ranger, schreibt in seinem
        1995 erschienenen Buch On Killing (Über das Töten),
        dass den größten Teil der Geschichte hindurch bis zum
        Zweiten Weltkrieg das tatsächliche Töten im Kampf von
        nur etwa 20 Prozent der Teilnehmer betrieben wurde. 75
        oder 80% der Soldaten schossen über die Köpfe der
        Gegner hinweg oder schossen überhaupt nicht. Bis Studien
        im Zweiten Weltkrieg dieses Phänomen enthüllten, war es
        unbekannt. Im Vietnamkrieg führten laut Grossmann
        Änderungen bei der Ausbildung der Soldaten – der
        Gebrauch von wie Personen geformten statt runden
        Zielscheiben, intensive Entmenschlichung des Gegners und
        Verherrlichung des Tötens – dazu, dass die
        Nicht-Feuer-Quote im Kampf auf bloße 5% zurückging. Der
        Preis war ein enormer Anstieg bei den psychologischen
        Traumatisierungen unter den zurückkehrenden
        Veteranen.   
Aus dem
        militärischen Zusammenhang genommen, in dem sie taten,
        was sie taten, waren sie allein gelassen mit ihren
        Gewissen – mit der schrecklichen Erkenntnis, dass
        sie Menschen getötet hatten. Der Schmerz darüber wurde
        oft bei den Veteranen aus dem Vietnam- und nachfolgenden
        Kriegen noch dadurch intensiviert, dass diese den Glauben
        in den Wert des Krieges selbst verloren, aus dem
        einfachen Grund, dass die Kriege höllisch unnötig
        waren.  
Meiner Ansicht
        nach ist eine der wichtigsten Konsequenzen nach dem
        Durchbruch der Erkenntnis, dass von Schuldgefühlen
        geplagte Veteranen nicht an einer „Krankheit“
        leiden, sondern an einer moralischen Verwundung, dass ihr
        Zustand nicht isoliert und individuell ist, sondern sich
        über die Gesellschaft erstreckt. In den Krieg zu ziehen
        ist eine kollektive Entscheidung und die Konsequenzen
        daraus müssen auch kollektiv getragen werden. Aber
        kollektiv bleiben wir dabei, die Tatsachen zu verleugnen
        und schreien, dass Monster im Schlafzimmer
        sind.   | ||
| Robert Koehlers Artikel erscheinen auf seiner Website COMMONWONDERS.COM, in HUFFINGTON POST und vielen weiteren Websites und Zeitungen | 
Donnerstag, 6. Dezember 2012
Ein Haufen Totenköpfe
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