Montag, 14. Januar 2013

Frankreichs algerischer Alptraum

Frankreichs algerischer Alptraum

Eric S. Margolis


Zum 50. Jahrestag des Endes des schrecklichen algerischen Unabhängigkeitskriegs tat der französische Präsident Francois Hollande am vergangenen Donnerstag das Richtige, indem er das „Leid“ eingestand, das Frankreich seiner ehemaligen Kolonie zugefügt hatte.  
Es war zwar nicht die vorbehaltlose Entschuldigung, die viele Algerier gefordert hatten, aber er ging so weit, wie ein französischer Anführer gehen konnte. Hollande: „132 Jahre lang war Algerien einer durch und durch brutalen und unfairen Behandlung ausgesetzt. Dieses System hatte einen Namen: Kolonialismus.“  

 
Frankreich überfiel und besetzte Algerien 1830 unter dem Vorwand, dass sein Herrscher den französischen Botschafter mit einem Fliegenwedel ins Gesicht geschlagen hatte. Eine Million französischer, spanischer und italienischer Bauern siedelten letztendlich in Algerien, wo sie sich die reichsten Gebiete aneigneten. Algerien wurde zu einem integralen Bestandteil des französischen Staates erklärt.
1954 kam es in ganz Algerien zu Demonstrationen für die Unabhängigkeit. Französische Siedler wurden angegriffen. Frankreich schickte daraufhin berüchtigt brutale senegalesische Kolonialtruppen, um Zehntausende Araber und Berber zu vergewaltigen und zu töten. Die algerische Revolution hatte begonnen. 


Als Student in Genf in der Schweiz wurde ich, wie es bei jungen Menschen so ist, vom Anliegen der algerischen Unabhängigkeit und von einem Hass auf den Kolonialismus durchdrungen – den ich mir bis heute erhalten habe. Als die Gewalt ganz Algerien durchzog, organisierte ich Studentendemonstrationen zur Unterstützung der algerischen FLN-Freiheitskämpfer und traf in Paris mit deren Anführern zusammen.
Im zarten Alter von 17 kam ich auf die Todesliste von La Main Rouge, einer zwielichtigen Bande von Mördern und Bombenattentätern, die vom französischen Geheimdienst betrieben wurde. Angefeuert von der unbeirrbaren Leidenschaft der Jugend versuchte ich, mich den Guerillas der FLN anzuschließen, die in den wilden Bergen Algeriens kämpften. Irgendwie schaffte es meine zielstrebige Mutter, mit Anführern der FLN in Europa zusammenzutreffen und sie dazu zu bringen, mich davon abzuhalten, in meinen so gut wie sicheren Tod zu gehen. 
Der algerische Unabhängigkeitskampf war das Vorbild für viele weitere Kolonialkriege: Indochina, Malaysia. Kenia, Afghanistan, Irak. Alle waren gekennzeichnet durch industrialisierte Brutalität, weit verbreitete Folter, Vergeltungsaktionen gegen Zivilisten, maskierte Zeugen, geheime Exekutionen, Einsatz von Söldnern.
Je länger der Krieg andauerte, desto mehr machte sich bei den Franzosen Bestürzung breit über die Verbrechen, die von ihrem Militär und ihrer Polizei begangen wurden. Der Gebrauch der Folter schlug zurück ins Mutterland, in dem es eine große nordafrikanische Bevölkerung gab. Kurz gesagt, Frankreich, die Wiege der Freiheit, der Menschenrechte und der Vernunft wurde besudelt durch Unterdrückung und Folter. Die französische Fremdenlegion, die einen großen Teil der Kämpfe in Algerien führte, bestand zu einem guten Teil aus Offizieren und Soldaten der ehemaligen Nazi-SS.  
Französische Soldaten und ihre einheimischen Verbündeten, die als „Harkis” bezeichnet wurden, begingen zahllose Massaker von Dörfern. Die FLN war ähnlich brutal bei der Exekution von „Kollaborateuren“ und Siedlern. Bomben, durchschnittene Kehlen und Folter mit elektrischem Strom wurden zu Kennzeichen des Algerienkriegs. Nicht lange, nachdem Frankreichs Militär im blutigen, hässlichen Kolonialkrieg in Indochina geschlagen worden war, wurde es zutiefst durch den Konflikt in Algerien korrumpiert.
Amerika macht heute in Afghanistan wieder diese dunkle Periode durch, wo Folter und die Tötung von Zivilisten zur Norm werden.
Nachdem Präsident Charles de Gaulle zu einem Ende des Krieges und zu Freiheit für Algerien aufrief, meuterten Teile der französischen Streitkräfte und der Legion unter der Führung neofaschistischer Offiziere. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie ich auf der Place de la Concorde stand und die knisternde Spannung fühlte, wie loyale Einheiten von Armee und Polizei sich darauf vorbereiteten, eine Invasion der revoltierenden Armee Frankreichs in Algerien aus der Luft abzuwehren. 


Die Originalversion des großartigen Films „Day of the Jackal” („Der Schakal”) beschreibt die Verschwörungen extremistischer Offiziere zur Ermordung de Gaulles in jener Zeit. 
1962 beobachtete ich mit Entsetzen, wie eine Demonstration von Algeriern erbarmungslos von der französischen CRS Polizei niedergeschlagen wurde: 200 oder mehr Algerier wurden auf der Straße zu Tode geprügelt und in die Seine geworfen. 

In diesem Jahr brachte der weise de Gaulle endlich Frankreich dazu, seine kolonialen Anmaßungen aufzugeben und Algerien die Freiheit zu geben. 
Wir, die den Freiheitskampf unterstützt hatten, waren begeistert. Aber gemäß dem alten Sprichwort „Die Revolution frisst ihre Kinder“ fielen fast alle Anführer von Algeriens einst so edlem Anliegen giftigen Rivalitäten zum Opfer, wurden ermordet, eingesperrt oder aus dem Land gejagt.

Algeriens siegreiche Revolutionäre wurden noch brutaler und raubgieriger als ihre ehemaligen französischen Beherrscher. Heute hat das vom Militär beherrschte Algerien eine der weltweit schlimmsten Situationen im Bereich der Menschenrechte. Sein Einkommen aus Erdöl und Erdgas wird im Ausland verborgen und lässt wenig übrig für die wachsende Bevölkerung.
Frankreichs koloniales Erbe verfolgt es: 5-6 Millionen verarmte, vernachlässigte Nordafrikaner, die im Randbereich der Gesellschaft leben.
 
     
  erschienen am 21. Dezember 2012 auf > www.ericmargolis.com

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