Frankreichs
algerischer Alptraum
Eric S. Margolis
Zum 50.
Jahrestag des Endes des schrecklichen algerischen
Unabhängigkeitskriegs tat der französische Präsident
Francois Hollande am vergangenen Donnerstag das Richtige,
indem er das „Leid“ eingestand, das Frankreich
seiner ehemaligen Kolonie zugefügt hatte.
Es war zwar nicht
die vorbehaltlose Entschuldigung, die viele Algerier
gefordert hatten, aber er ging so weit, wie ein
französischer Anführer gehen konnte. Hollande: „132
Jahre lang war Algerien einer durch und durch brutalen
und unfairen Behandlung ausgesetzt. Dieses System hatte
einen Namen: Kolonialismus.“
Frankreich
überfiel und besetzte Algerien 1830 unter dem Vorwand,
dass sein Herrscher den französischen Botschafter mit
einem Fliegenwedel ins Gesicht geschlagen hatte. Eine
Million französischer, spanischer und italienischer
Bauern siedelten letztendlich in Algerien, wo sie sich
die reichsten Gebiete aneigneten. Algerien wurde zu einem
integralen Bestandteil des französischen Staates
erklärt.
1954 kam es in
ganz Algerien zu Demonstrationen für die
Unabhängigkeit. Französische Siedler wurden
angegriffen. Frankreich schickte daraufhin berüchtigt
brutale senegalesische Kolonialtruppen, um Zehntausende
Araber und Berber zu vergewaltigen und zu töten. Die
algerische Revolution hatte begonnen.
Als Student in
Genf in der Schweiz wurde ich, wie es bei jungen Menschen
so ist, vom Anliegen der algerischen Unabhängigkeit und
von einem Hass auf den Kolonialismus durchdrungen –
den ich mir bis heute erhalten habe. Als die Gewalt ganz
Algerien durchzog, organisierte ich
Studentendemonstrationen zur Unterstützung der
algerischen FLN-Freiheitskämpfer und traf in Paris mit
deren Anführern zusammen.
Im zarten Alter
von 17 kam ich auf die Todesliste von La Main Rouge,
einer zwielichtigen Bande von Mördern und
Bombenattentätern, die vom französischen Geheimdienst
betrieben wurde. Angefeuert von der unbeirrbaren
Leidenschaft der Jugend versuchte ich, mich den Guerillas
der FLN anzuschließen, die in den wilden Bergen
Algeriens kämpften. Irgendwie schaffte es meine
zielstrebige Mutter, mit Anführern der FLN in Europa
zusammenzutreffen und sie dazu zu bringen, mich davon
abzuhalten, in meinen so gut wie sicheren Tod zu
gehen.
Der algerische
Unabhängigkeitskampf war das Vorbild für viele weitere
Kolonialkriege: Indochina, Malaysia. Kenia, Afghanistan,
Irak. Alle waren gekennzeichnet durch industrialisierte
Brutalität, weit verbreitete Folter, Vergeltungsaktionen
gegen Zivilisten, maskierte Zeugen, geheime Exekutionen,
Einsatz von Söldnern.
Je länger der
Krieg andauerte, desto mehr machte sich bei den Franzosen
Bestürzung breit über die Verbrechen, die von ihrem
Militär und ihrer Polizei begangen wurden. Der Gebrauch
der Folter schlug zurück ins Mutterland, in dem es eine
große nordafrikanische Bevölkerung gab. Kurz gesagt,
Frankreich, die Wiege der Freiheit, der Menschenrechte
und der Vernunft wurde besudelt durch Unterdrückung und
Folter. Die französische Fremdenlegion, die einen
großen Teil der Kämpfe in Algerien führte, bestand zu
einem guten Teil aus Offizieren und Soldaten der
ehemaligen Nazi-SS.
Französische
Soldaten und ihre einheimischen Verbündeten, die als
„Harkis” bezeichnet wurden, begingen zahllose
Massaker von Dörfern. Die FLN war ähnlich brutal bei
der Exekution von „Kollaborateuren“ und
Siedlern. Bomben, durchschnittene Kehlen und Folter mit
elektrischem Strom wurden zu Kennzeichen des
Algerienkriegs. Nicht lange, nachdem Frankreichs Militär
im blutigen, hässlichen Kolonialkrieg in Indochina
geschlagen worden war, wurde es zutiefst durch den
Konflikt in Algerien korrumpiert.
Amerika macht
heute in Afghanistan wieder diese dunkle Periode durch,
wo Folter und die Tötung von Zivilisten zur Norm werden.
Nachdem
Präsident Charles de Gaulle zu einem Ende des Krieges
und zu Freiheit für Algerien aufrief, meuterten Teile
der französischen Streitkräfte und der Legion unter der
Führung neofaschistischer Offiziere. Ich erinnere mich
lebhaft daran, wie ich auf der Place de la Concorde stand
und die knisternde Spannung fühlte, wie loyale Einheiten
von Armee und Polizei sich darauf vorbereiteten, eine
Invasion der revoltierenden Armee Frankreichs in Algerien
aus der Luft abzuwehren.
Die
Originalversion des großartigen Films „Day of the
Jackal” („Der Schakal”) beschreibt die
Verschwörungen extremistischer Offiziere zur Ermordung
de Gaulles in jener Zeit.
1962 beobachtete
ich mit Entsetzen, wie eine Demonstration von Algeriern
erbarmungslos von der französischen CRS Polizei
niedergeschlagen wurde: 200 oder mehr Algerier wurden auf
der Straße zu Tode geprügelt und in die Seine geworfen.
In diesem Jahr
brachte der weise de Gaulle endlich Frankreich dazu,
seine kolonialen Anmaßungen aufzugeben und Algerien die
Freiheit zu geben.
Wir, die den
Freiheitskampf unterstützt hatten, waren begeistert.
Aber gemäß dem alten Sprichwort „Die Revolution
frisst ihre Kinder“ fielen fast alle Anführer von
Algeriens einst so edlem Anliegen giftigen Rivalitäten
zum Opfer, wurden ermordet, eingesperrt oder aus dem Land
gejagt.
Algeriens
siegreiche Revolutionäre wurden noch brutaler und
raubgieriger als ihre ehemaligen französischen
Beherrscher. Heute hat das vom Militär beherrschte
Algerien eine der weltweit schlimmsten Situationen im
Bereich der Menschenrechte. Sein Einkommen aus Erdöl und
Erdgas wird im Ausland verborgen und lässt wenig übrig
für die wachsende Bevölkerung.
Frankreichs
koloniales Erbe verfolgt es: 5-6 Millionen verarmte,
vernachlässigte Nordafrikaner, die im Randbereich der
Gesellschaft leben.
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erschienen am 21. Dezember 2012 auf > www.ericmargolis.com |
Montag, 14. Januar 2013
Frankreichs algerischer Alptraum
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