Deutschland: Der Waffenlieferant der Welt im ersten Bodenkampf nach dem Zweiten Weltkrieg (Teil 5)
Von RICK ROZOFF, 6. August 2009 –
Am 19. Juli 2009 erschossen deutsche Soldaten unter NATO-Befehl im Norden Afghanistans zwei afghanische Bürger und verletzten zwei weitere schwer. Während der letzten zehn Tage, Ende Juli*, haben deutsche Einheiten der Rapid Reaction Force (der schnellen Eingreiftruppe) der NATO einen großen Kampfeinsatz in der afghanischen Provinz Kundus durchgeführt.
300 deutsche Soldaten haben, unterstützt von etwa 1.200 Mann der afghanischen Regierungstruppen, mit Marder-Schützenpanzern und Mörsern eine Offensive eingeleitet. Ein Bundeswehr-Soldat wird mit der Aussage zitiert, es sei befohlen worden, alle Möglichkeiten der Eingreiftruppe zu nutzen, und deshalb werde alles eingesetzt, "was da ist". (1)
Ein deutscher Sender offenbarte: "Man glaubt dass die Bundeswehr zum ersten Mal schwere Artillerie eingesetzt hat." (2)
Berlins Verteidigungsministerium gab außerdem zu, dass die "deutsche Luftwaffe auch zum ersten Mal Luftunterstützung für die Bodentruppen in Afghanistan geleistet hat." (3) Es teilte ebenfalls mit, dass "am 15. Juli und am 19. Juli Kampfflugzeuge, die von den Bodentruppen angefordert worden waren, die ersten Bomben im Norden Afghanistans abgeworfen haben". (4)
Am 22. Juli bestätigte Wolfgang Schneiderhan, der Generalinspekteur der Bundeswehr, diese Präzedenzfälle und bezeichnete die gegenwärtige Offensive als die "wahrscheinlich größte Operation deutscher Truppen in Afghanistan, bei der auch "Hausdurchsuchungen zum Aufspüren feindlicher Kämpfer durchgeführt wurden". (5)
Das deutsche Wochenmagazin Der Spiegel charakterisierte diese Entwicklung so: "Die Deutschen haben mit dieser ersten militärischen Offensive nach dem Zweiten Weltkrieg eine psychologische Hemmschwelle überwunden." (6)
Tatsächlich wurden mehrere Präzedenzfälle geschaffen und mehrere Schwellen überschritten. Deutschland hat nicht nur zum ersten Mal wieder schwere Artillerie und Kampfflugzeuge zur Unterstützung kämpfender Bodentruppen eingesetzt, es hat auch eine Militäroffensive fast 5.000 Kilometer von seinen Grenzen entfernt gestartet; so weit von Deutschland entfernt hat die deutsche Armee noch nie gekämpft.
Das wiedervereinigte Deutschland hatte zwar bereits im Jahr 1999 Kampfflugzeuge für den NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien zur Verfügung gestellt, aber in Afghanistan haben seine Streitkräfte zum ersten Mal seit der Niederlage des Nazi-Regimes Hitlers im Jahr 1945 wieder Infanterie- und Artillerie-Angriffe nicht nur durchgeführt, sondern auch das Kommando dabei geführt.
Die rechtliche und symbolische Bedeutung dieser Entwicklungen wurde von den Medien der Welt komplett ignoriert; die obigen Angaben stammen mit einer Ausnahme alle aus deutschen Quellen.
Sonst kennen die Medien keine Skrupel und zögern nie, verzerrende Vergleiche mit Deutschland im Zweiten Weltkrieg anzustellen, wenn es den Absichten ihrer jeweiligen Regierungen dient, falsche Analogien zur damaligen Zeit herzustellen: Wie viele "neue Hitler" mit schwarzen, braunen, weißen und gelben Gesichtern wurden während der letzten fünfzehn Jahre schon entdeckt? Aber das Wiederaufleben des deutschen Militarismus wird nicht registriert, und die Rehabilitierung von Mitgliedern der Waffen-SS und anderen Nazi-Kollaborateuren in mehreren osteuropäischen Staaten wird entschuldigt – als gerechtfertigte Reaktion auf vorausgegangene oder gegenwärtige russische Aktionen.
Die deutsche Armee ist wieder auf das Schlachtfeld zurückgekehrt – in Afghanistan, auf dem Balkan, im Nahen Osten und in Afrika – und ihre Rolle in vergangenen Kriegen wird von ihren westlichen NATO-Partnern mit immer nachsichtigeren Augen gesehen.
Auch andere schlimme Vorzeichen werden von vergesslichen Presseleuten einfach übersehen.
In dieser Woche (gemeint ist die Woche vom 24. bis 30 Juli) hat der Bürgermeister der rumänischen Stadt Constanta mit seinem Verhalten ein anschauliches Beispiel dafür geliefert. Constanta beherbergt einen von vier neuen rumänischen Militärflugplätzen, die vom Pentagon und von der NATO schon vor vier Jahren mit drei weiteren im benachbarten Bulgarien angemietet wurden. Die auf den sieben Flugplätzen stationierten US-Truppen sind die ersten ausländischen Soldaten in Rumänien seit 1958und die ersten in Bulgarien seit dem Zweiten Weltkrieg.
Radu Mazare, der Bürgermeister von Constanta, trug bei einer Modenschau in seiner Stadt eine Nazi-Militäruniform, und als er nach den Gründen gefragt wurde, antwortet er: "Ich wollte mich einmal wie ein General der Wehrmacht kleiden, weil ich diese Uniform schon immer gemocht und die straffe Organisation der deutschen Armee bewundert habe." (7)
Als er wegen seines Verhaltens unter Druck geriet, redete er sich damit heraus, "dass die Uniform keine Hakenkreuze hatte und einem General der deutschen Infanterie gehörte, die nichts mit der SS zu tun hatte". (8)
Aus seinen Bemerkungen könnte man schließen, wenn die Legionen Hitlers bei ihren Überfällen auf Polen, Norwegen, Belgien, die Niederlande, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland und die Sowjetunion, bei denen sie so viele Millionen Menschen umgebracht haben, vorher ihre Hakenkreuz-Armbinden und andere Parteiabzeichen entfernt hätten, wäre nichts zu beanstanden gewesen.
Ist das die Lehre, die von den heutigen Befürwortern und Organisatoren eines unter einem einheitlichen militärischen Kommando stehenden vereinigten Europa, das Invasions-Truppen zu Kriegen, Besetzungen und Blockaden um die ganze Welt schickt, aus der Vergangenheit gezogen wird? (Was früher die Nazis angerichtet haben), ahmt die gesamte NATO jetzt nach.
Die Bomber, die ausgesandt wurden, um Tod und Zerstörung über ganz Jugoslawien zu
tragen, wurden Engel der Gnade genannt. Multinationale Besatzungsstreitkräfte, die Artillerie-Salven auf afghanische Dörfer feuern und 1.000-Pfund-Bomben abwerfen werden,
als internationale Friedenstruppe ausgegeben, die angeblich Wiederaufbauarbeit leistet.
Was könnte einfacher sein? Keine Hakenkreuze, keine Kriegsverbrechen!
2006 veröffentlichte das deutsche Verteidigungsministerium ein Weißbuch, das eine Transformation der deutschen Armee ankündigte, mit der sie auf internationale Interventionen vorbereitet werden soll – nicht nur für gelegentliche Einsätze, sondern auf einer dauerhaften Basis.
Der deutsche Verteidigungschef Franz Josef Jung sagte bei der Vorstellung des Weißbuchs, es gehe bei der Transformation darum, "die Bundeswehr in eine international operationsfähige Interventionsarmee umzuwandeln" (9), und betonte gleichzeitig, dass "die Regierung die Möglichkeit braucht, die Bundeswehr auch innerhalb der Bundesrepublik einzusetzen ...". (10)
Es wurden aber noch weitere Schwellen überschritten und Jahrzehnte geltende Verbote aufgeweicht.
Im Dezember vor zwei Jahren sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, "Deutschlands Wachstum und Wohlstand hänge von seiner Bereitschaft ab, sich – angesichts von Herausforderungen wie im Kosovo und im Iran – in Zusammenarbeit mit der EU und der NATO international zu engagieren"; in der Tageszeitung Handelsblatt schrieb sie: "Die klassische Trennung zwischen Innen- und Außenpolitik ist vorbei," (11) und griff damit die beiden Aspekte auf, die ihr Verteidigungsminister bereits ein Jahr vorher (bei der Vorstellung des Weißbuchs) betont hatte.
Im Mai des darauf folgenden Jahres teilte ein Sprecher Frau Merkels mit, die Kanzlerin stehe hinter einem Sicherheitspapier ihrer Partei CDU/CSU, dessen Verfasser, der Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff, geschrieben hatte, "es sei Zeit, dass Deutschland seine aus den Nachkriegszeit stammenden Hemmungen, auch Gewalt anzuwenden, endlich ablege". (12)
Eine Zeitung berichtet damals, Ziel der Frau Merkel und ihrer Partei sei es, "einige der aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg stammenden deutschen Vorbehalte fallen zu lassen, die immer noch gegen robuste Sicherheitsmaßnahmen bestünden, einschließlich des Einsatzes militärischer Gewalt im Ausland und zu Hause".
Zu den Maßnahmen, die in dem oben erwähnten CDU-Papier propagiert und von der Kanzlerin unterstützt werden, gehört auch die Forderung, "der Bundestag solle der Exekutive größere Vollmachten beim Einsatz deutscher Truppen einräumen", und "ein neuer, im Kanzleramt angesiedelter Nationaler Sicherheitsrat solle die Zusammenarbeit der mit Sicherheitsfragen befassten Ministerien koordinieren". (13)
Eine wichtige Komponente der neuen internationalen militärischen Rolle Deutschlands, die nach der Wiedervereinigung mit Unterstützung der NATO möglich wurde, ist sein verstärktes Engagement auf dem globalen Waffenmarkt. Waffenhersteller haben in Berlin nicht weniger Einfluss, als in anderen "freien Marktwirtschaften," aber deren Profitsucht ist nicht allein für das beispiellose Anwachsen der deutschen Waffenexporte in die ganze Welt verantwortlich.
Waffenlieferungen und die Beherrschung des Waffenmarkts in anderen Ländern sichern auch das Zusammenwirken der (gleichen) Waffen und erleichtern eine gemeinsame Ausbildung und gemeinsame Manöver zur Vorbereitung künftiger Militäraktionen gegen Dritte.
Im Rahmen der Ausbildung werden auch Scheingefechte gegen Flugzeuge, Schiffe, Unterseeboote, die Luftverteidigung, die Bodentruppen und die Überwachungssysteme potenzieller zukünftiger Gegnern durchgeführt.
Die Art Waffen, die Deutschland rund um die Welt verkauft – Panzer, Unterseeboote und Kampfflugzeuge – sind kaum zur Verteidigung oder für Friedensmissionen geeignet.
Jemand, der die Entwicklungen der letzten fünfzehn Jahre nicht verfolgt hat, könnte erschrocken sein, als er aus dem im letzten Monat (Juni 2009) erschienenen Jahresbericht des internationalen Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI erfahren hat, dass die globalen Militärausgaben im Jahr 2008 auf 1,5 Billionen Dollar angewachsen sind, wobei die Vereinigten Staaten fast die Hälfte dieser gigantischen Summe ausgegeben haben; außerdem hat Deutschland bei den Waffenexporten Frankreich und Großbritannien überholt und ist nach den USA und Russland) zum drittgrößten Waffenhändler der Welt geworden. (s. SIPRI-Bericht 2008 --> LINK )
Die deutschen Waffenlieferungen ins Ausland haben zwischen 2005 und 2006 um 20 Prozent zugenommen, in fünf Jahren sogar um 70 Prozent. Im Jahr 2007 hat Berlin Waffenverkäufe an 126 Länder genehmigt, das sind fast zwei Drittel aller Staaten der Welt. Die Hauptkäufer waren Griechenland, die Türkei und Südafrika, und die "Verkaufsschlager" waren Leopard 2-Panzer und Unterseeboote der Klasse 214. Handfeuerwaffen stehen nicht an der Spitze der deutschen Waffenexporte.
Nach Aussage eines deutschen Experten "ist Deutschland damit zum größten Waffenexporteur der Europäischen Union geworden und steht weltweit gleich hinter den Vereinigten Staaten und Russland". (14)
Der meisten der militärischen Exportgüter Deutschlands sind technisch hoch entwickelte, für (Angriffs-)kriege entworfene Waffen, und unter den Kunden sind mehrere Staaten, die in vor kurzem beendete oder noch laufende bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt waren und sind oder bald in neue noch katastrophalere verwickelt sein werden.
Quelle und weiterlesen auf:
www.hintergrund.de
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