Sie grölen auf ihren Demonstrationen zynische Parolen, wie
„Palästina, knie nieder! Die Siedler kommen wieder!” oder „Wir tragen
Gucci. Wir tragen Prada. Tod der Intifada!” Aber nicht nur
„bedingungslose Solidarität mit Israel”, westlicher Chauvinismus, eine
ausgeprägte Upper-Class-Arroganz gegenüber den schlecht Gekleideten ‚da
unten’ und eine schaurige Freude am Tanz auf den Gräbern der
ausgemachten Feinde – Friedensaktivisten, Kapitalismuskritiker, vor
allem von ihnen als „Barbaren” titulierte Bewohner des Orients – sind
signifikante Merkmale der sogenannten Antideutschen.
Seit rund 20 Jahren betreiben diese Exlinken, deren Ideologie aus
Versatzstücken der Bush-Doktrin, Marx’ Kritik der politischen Ökonomie
und Adornos Kritischer Theorie zusammengekleistert ist, auf rabiate
Weise Geschichtsrevisionismus. Sie verkehren die Begriffe Emanzipation
und Aufklärung in ihr Gegenteil und schrecken auch vor Kooperationen mit
Rechtsextremisten nicht zurück.
Ehrbares Anliegen entsorgt
„Abbruchunternehmen der Linken” wollen sie sein, formulierte einer ihrer prominenten Wortführer und Kopf ihres Zentralorgans
Bahamas
Justus Wertmüller vor einigen Jahren die Agenda der „Antideutschen”.
Wenigstens einmal eine ehrliche Aussage. Ihr Name hingegen führt völlig
in die Irre: Waren sie, damals noch Kommunisten, Anfang der 1990er Jahre
aus Angst, nach der Auflösung der DDR könnte ein „Viertes Reich”
entstehen und Deutschland seine Großmachtbestrebungen wiederbeleben, mit
einem ehrbaren Anliegen, der Bekämpfung des deutschen Nationalismus,
angetreten – inzwischen haben sie es weitgehend entsorgt.
Der auf ihren Demonstrationen und sonstigen Events performte „Hass
auf Deutschland” ist längst zum leeren Ritual heruntergeleierter und von
Vernichtungsphantasien getragener Parolen, wie „Von der Saar bis an die
Neiße: Bomben drauf und weg die Scheiße!”, verkommen. Damit kann gerade
einmal das sehr junge Fußvolk bei der Israelfahnen-Stange gehalten
werden.
Verteidigung der Zivilisation
Bereits 2006 hatte Justus Wertmüller in seiner Rede auf einer
Kundgebung gegen Ahmadinedschad in Frankfurt, bei der er gemeinsam mit
dem damaligen CSU-Innenminister Günter Beckstein auftrat, deutsche
Fahnen schwenkende christliche Fundamentalisten und andere Rechte als
„verbindliche Freunde Israels” gelobt. Und er bot der Bundesregierung
generös an, es dürften „in einem Meer von israelischen” ruhig auch ein
paar schwarz-rot-goldene Banner wehen. Seine Bedingung: Deutschland
müsse, wie Wertmüller forderte, bloß endlich zur „Verteidigung der
Zivilisation”, die es „nur an der Seite Israels gibt”, entschließen und
dafür notfalls auch seine „militärischen Ressourcen ausschöpfen”, um das
Atomprogramm des Iran zu stoppen.
Alte Nazi-Mythen
Integrale Bestandteile der neoimperialistischen Matrix der
„antideutschen” Ideologie ist die synonyme Verwendung der Begriffe
Antisemitismus und Antizionismus. Das Gros ihrer Anhänger stimmt dem von
ihrer Freiburger Denkfabrik
Initiative Sozialistisches Forum formulierten
Dogma „Jede Kritik am Staat Israel ist antisemitisch” zu. Es vergleicht
die gegenwärtige Situation der jüdischen Bevölkerung Israels mit der
der europäischen Ghetto-Juden vor der Shoah, Ahmadinedschad und die
Hamas mit der SS und prangert die Politik des Westens gegenüber dem Iran
und den Palästinensern als „appeasement” an. Die meisten meinen, so
beispielsweise der „antideutsche”
Arbeitskreis Antifa der
Universität Gießen, Nationalsozialismus und Sozialismus „sind Fleisch
vom selben Fleisch”. Und mit der Behauptung, Hitlers „Volksgemeinschaft”
sei eine klassenlose Gesellschaft gewesen, verbreiten sie die alten
Nazi-Mythen weiter. Vor allem eint die „Antideutschen” die Neigung, wie
der Soziologe Gerhard Hanloser diagnostiziert, zur „rituellen
Hinrichtung” der von ihnen als Allzweckwaffe missbrauchten Kritischen
Theorie. Ein Beispiel: Der wissenschaftliche Mitarbeiter der
kriegstreiberischen Kampagne
Stop the Bomb! Stephan Grigat
fordert, der von Theodor W. Adorno formulierte „neue kategorische
Imperativ”, seit 1945 sei unser „Denken und Handeln so einzurichten,
dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe”, müsse
als „zionistischer kategorischer Imperativ” durch den Staat Israel
exekutiert werden. Das bedeutet, Adornos Imperativ würde seines durch
und durch universalistischen Wesens entschlagen werden, indem er
nationalisiert, partikularisiert (u.a. werden Muslime ausgeschlossen)
und somit seines zutiefst humanen, emanzipatorischen Anliegens beraubt
wird.
Partyzionisten
Aber die „Antideutschen” sind keine homogene Glaubensgemeinschaft. An
ihrem linken Rand findet sich die größte Gruppe der sich vorwiegend aus
dem Milieu der autonomen Antifas rekrutierenden „Softantideutschen”.
Diese oftmals lifestyleorientierten „Partyzionisten” tummeln sich mit
Israel und sein Militär fetischisierender Sprücheklopferei unter
bizarren Namen wie
Group Merkava Winsen im Internet und atmen die
Jungle World
ein: Eine zur Hälfte linke und zur anderen neoliberalen Wochenzeitung,
die die „antideutsche” Ideologie populär vereinfacht und ihre
reaktionären Inhalte (sub)kulturindustriell verbrämt. Ihre vorwiegend
studentische Klientel verschanzt sich häufig hinter dem Begriff
„Antinationale”, weil sie an der Bekämpfung von Neonazis und einigen
ihnen nützlichen linken Restbeständen, beispielsweise den Protest gegen
Studiengebühren, festhalten will.
Die Bahamas-Redaktion
Unbefangener agieren Gruppen, die die reine Lehre predigen und mit
geschichtsklitternden Slogans, wie „Der Deutschen Linken und anderen
Nazis das Existenzrecht entziehen!” (
Antideutsche Assoziation Dresden), hausieren gehen. Schon gar nicht machen die Mitglieder der
Bahamas-Redaktion
aus ihren Herzen eine Mördergrube. Sie haben den Begriff „antideutsch”
Anfang 2009 als Bezeichnung für ihre Ideologie zurückgewiesen: „Was
einmal antideutsch geheißen hat, taucht heute als Apologie für das
irgendwie widerständige Tun migrantischer Schlägerbanden, als Angriff
auf den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr oder als vom Sozialneid
erfülltes Ressentiment gegen deutsche Frührentner, die sich auf Mallorca
niedergelassen haben, wieder auf”, heißt es in der Distanzierung der
Bahamas von all jenen „Antideutschen”, die immer noch nicht verstanden haben: „Antifa heißt Luftangriff.”
English Defence League
Die Bahamisten sind längst unterwegs zu neurechten Ufern und bekunden
ihre Zuneigung für die bevorzugt Muslime schlagende Verbindung
English Defense League (
EDL): Eine aus Netzwerken von Fascho-Hooligans und der
British National Party entstandene
militante Bewegung, deren Mitglieder sich als Wahrer der westlichen
Zivilisation auserkoren fühlen und auf ihren Demonstrationen das
Sankt-Georgs-Kreuz, das Symbol der Kreuzzüge, vorantragen. Sie bepöbeln
Linke als „coward commie bastards”, arabische und afrikanische
Einwanderer als „jihads” und „niggers”. Einige ihrer Anhänger zeigen
gern mal den Hitler-Gruß – andere lieber Israelfahnen. Unlängst lud die
EDL, die mittlerweile eine „Jewish Division” unterhält, als Gast-Redner den
Tea-Party-Aktivisten Nachum Shifren ein – laut
Jewish Chronicle der ehemalige Fahrer des Gründers der rechtsextremistischen Terrororganisation
Kach Meir Kahane. Während sich die meisten jüdischen Organisationen von der
EDL distanziert haben, wirbt die
Bahamas um Verständnis: Die
EDL handele
schließlich „im Geiste Winston Churchills”. Dass die britische Antifa
diese „Patrioten” u.a. als „Hetzer” bezeichnet habe, sei „einfach nur
böswillig”.
Stephan Grigat und die FPÖ
Zwar steht die Mehrheit der „Antideutschen” den Necons weitaus näher
als dem rechtsextremen Lager. Aber wenn es gegen „linke Antisemiten”
(Israel-Kritiker) und Muslime geht, hilft man sich gern mal gegenseitig
aus. So sprechen Vertreter des „antideutschen”
Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten gern ausführliche Stellungnahmen in die Kamera des im Milieu des rechtspopulistischen und rassistischen Blogs
Politically Incorrect (
PI) angesiedelten Kieler Filmemachers Claus-C. Plaass, der
PI
nicht nur mit Bildmaterial beliefert, sondern auch regelmäßig in
Leserbriefen Stimmung gegen die Bevölkerung aus dem „tuerk-arab
mohamedanischen Kulturkreis” macht. Und Stephan Grigat, der findet, der
neue Faschismus sei ein Import aus den arabischen Ländern, Israel sei
„zu liberal” und sollte ein Knesset-Verbot für „islamistische arabische
Israelis” verhängen, trat im vergangenen Jahr beim
Wiener Akademikerbund (
WAB) auf – einer ultrarechten
FPÖ-nahen
Organisation, die in Österreich mit ihrer aggressiven
Fremdenfeindlichkeit immer wieder für Schlagzeilen sorgt, weil sie Angst
vor der „Gefahr Islam” schürt und sich neuerdings auch für die
Aufhebung des NS-Verbotsgesetzes einsetzt. „In anderen Ländern
existieren immerhin Vorfeldorganisationen konservativer Parteien, mit
denen eine Diskussion durchaus lohnt”, so Grigats aufschlussreiche
Begründung für seinen Auftritt. „Und man zwingt sich ja auch immer
wieder, einer von Ressentiments gegen Israel geprägten Linken mit
Argumenten zu begegnen.” Nachdem sein Schlenker nach rechts außen
aufgeflogen und öffentlich gemacht worden war, erklärte Grigat zehn
Monate (!) später, er habe bei seiner Zusage an den
WAB doch
keine Ahnung gehabt, dass er für „lupenreine Geschichtsrevisionisten,
Antisemiten, Nationalisten und Rassisten” referieren würde – honni soit
qui mal y pense.
Auch die Rosa Luxemburg Stiftung…
Der linke Flügel der „antideutschen” Bewegung schweigt zu diesen
Auswüchsen. Zur Rede gestellt, betonen ihre Vertreter ihre angebliche
Distanz zu den Bahamisten. In Wahrheit sind unzählige Blogs des linken
Lagers mit Wertmüllers und anderen rechten Organen, wie beispielsweise
Lizas Welt und
Prodomo, verlinkt. Der Hamburger
LAK Shalom der
Linksjugend rief mit ihnen nach dem Angriff der israelischen Marine auf die
Free-Gaza-Flotte
sogar zu einer Demonstration gegen die eigene Partei auf. Titel: „Gegen
das Bündnis der Kriegstreiber von Linkspartei und Hamas.”
Bahamas-Schreiberlinge – darunter Philipp Lenhard, Thomas Becker, Tjark Kunstreich - werden von linken „antideutschen” Medien wie
Jungle World,
Phase 2 oder
Konkret hofiert. Der
Rosa Luxemburg Stiftung, dem Think Tank der
LINKEN,
sind „Antideutsche”, die politisch hart Steuerbord segeln, als
Stipendiaten oder Referenten willkommen. Wenn die Grigats, Osten-Sackens
und wie sie alle heißen dort gerade nicht engagiert sind, dann sind sie
in neokonservativen Medien, wie auf Henryk M. Broders
Achse des Guten oder in der Welt, unterwegs. Und auch die Medien der goldenen neoliberalen Mitte,
Spiegel,
Tagesspiegel,
Wiener Zeitung, bereiten den „Antideutschen” einen zunehmend herzlichen Ideologie-Empfang.
Kein Wunder: „Freihandelshausierburschen” (so nannte Karl Marx einst
die Propagandisten des Kapitalismus) wie die „Antideutschen” mit ihrem
blanken Hass auf die antikapitalistische Linke und den von ihnen u.a.
als „Ummasozialismus” betitelten Islam sind heute objektiv
omnidirektional einsetzbare Hilfstruppen: Ebenso für die Durchsetzung
schwarz-gelber Sparpakete wie für die (deutsche) Rüstungsindustrie,
ihren Karl-Theodor zu Guttenberg und ihre ehrgeizigen Pläne, noch viel
mehr Handelswege freizuschießen – oder eben auch für die
rechtspopulistische Pro-Bewegung und ihre sich derzeit europaweit
formierenden militanten Ableger, die sogenannten Defense Leagues.
Marx gegen Machiavelli eingetauscht
Die – von den meisten nicht intendierten, aber sich häufenden –
Schulterschlüsse der „Antideutschen” mit Rechten sind unweigerlich eine
Konsequenz der inneren Logik ihrer Ideologie. Wer vorgibt, eine
Wiederholung von Auschwitz durch neoimperialistische Machtentfaltung,
Marktradikalismus, Kulturkampf, die Verherrlichung des Militärs der
westlichen Welt und seiner Waffengewalt ausschließen zu können, hat Marx
gegen Machiavelli eingetauscht. Wer Juden zwangszionisieren will und
jene, die sich weigern, mit Kampfbegriffen wie „selbsthassende Juden”,
„Antisemiten” und „Verräter” beleidigt, wird in den Armen von Daniela
Weiss, Geert Wilders oder noch viel schlimmeren Gesellen aufwachen –
wenn er aufwacht. Wer, wie die „Antideutschen” es tun, den
Antisemitismusbegriff bis zur Unkenntlichkeit inflationiert und damit
der nach wie vor notwendigen Antisemitismuskritik ihrer Wirkmacht
beraubt und die Opfergeschichte des jüdischen Kollektivs schamlos für
die Legitimierung von Mord und Totschlag ausbeutet, hat auch nichts
anderes verdient.
Der Beitrag ist gedruckt erschienen in
Der Semit,
2. Jahrgang Nr. 6, Dezember / Januar 2011. Wiedergabe bei linkezeitung
mit freundlicher Genehmigung von Autorin (Susanne Witt-Stahl) und
Verlag